Bolligen - Briten filmen die direkte Demokratie

Die Gemeindeversammlung war Schauplatz eines Filmdrehs. Ein britisches Kamerateam dokumentierte den Anlass, um die direkte Demokratie zu veranschaulichen. Die Fernsehleute sehen einige Vorteile im Schweizer Modell.

Stephanie Zemp, Berner Zeitung BZ
Es war ein vorbildliches Beispiel dazu, die direkte Demokratie zu demonstrieren. In Bolligen strömten am Dienstagabend die Menschen in Scharen ins Kirchgemeindehaus an die Gemeindeversammlung. Vor Ort dabei: ein vierköpfiges britisches Fernsehteam. Es filmte die Bolliger, wie sie in den Saal strömten und dort alle 350 Plätze besetzten.

Das Team des kommerziellen Fernsehsenders ITV News dreht einen Beitrag zur bevorstehenden Abstimmung über den EU-Austritt Grossbritanniens, auch Brexit genannt. Am 23. Juni werden die Inselbewohner zur Urne gebeten – eine Seltenheit in der Geschichte des Vereinigten Königreichs.

Die TV-Crew geht im Film der Frage nach, ob das Schweizer Modell der direkten Demokratie eine Alternative ­wäre für Grossbritannien. Dafür weilen die Fernsehjournalisten fünf Tage in der Schweiz und befragen verschiedene Persönlichkeiten über ihre Ansichten. Der TV-Beitrag von ITV News wird Ende April ausgestrahlt.

Interviews mit Bolligern

«Viele Schweizer befürchten, dass bei einem Beitritt zur EU die direkte Demokratie beeinträchtigt würde», sagt der Politjournalist Robert Peston von ITV. Deshalb sei sein Team nach Bolligen gekommen. Weil sich die direkte Demokratie an einer Gemein­deversammlung besonders unmittelbar zeige.

Vor dem Beginn pickten sie einige Englisch sprechende Bürger heraus und befragten sie vor laufender Kamera über ihre Meinung zum schweizerischen System. «Dass die Schweiz noch kein EU-Mitglied ist, liegt wohl daran, dass das Volk mitbestimmen kann», vermutete ein älterer Herr. Und eine junge Frau sagte ins Mikrofon, die schweizerische Demokratie funktioniere vor allem, weil die Schweiz kleinräumig sei.

Neu: Das Bürgermeisteramt

Die direkte Demokratie ist eine Schweizer Besonderheit. Grossbritannien dagegen ist zentralistisch geführt und von der Monarchie geprägt. Dort bildeten sich erst in den letzten Jahren Bürgermeisterämter in den Städten. «Zuvor gab es bei uns keine lokalen Schaltstellen zwischen dem Volk und der Führung», erklärt Robert Peston.

Den grössten Vorteil der direkten Demokratie sieht er darin, dass diese die Leute dazu mo­tiviere, sich für die Politik zu in­teressieren. «Die Menschen in Grossbritannien und anderswo haben das Vertrauen in die Politik verloren», sagt er. Sie in das System zu integrieren, sei eine der grössten Herausforderungen mo­derner Gesellschaften.

«Können die Bürger bei Anliegen, die sie betreffen, auch mitbestimmen, so engagieren sie sich», ist Peston überzeugt. Dies bedinge insbesondere eine «authentische, lokale Demokratie», wie sie in der Schweiz gelebt wird – und in Bolligen erfahrbar war.

Für Peston selbst ist die Abstimmung vom 23. Juni die erste in seinem Leben. Das Resultat sei nach wie vor ungewiss, so seine Einschätzung: «Es wird stark davon abhängen, ob Premierminister David Cameron die EU-Befürworter zum Abstimmen mobilisieren kann».

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Erstellt: 24.03.2016
Geändert: 24.03.2016
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