Biglen - 1962: Rasender Güterzug konnte in Schafhausen gestoppt werden

Vor einem halben Jahrhundert machten sich in Biglen 15 Güterwagen selbständig und rasten talwärts. In Schafhausen konnte der Zug zum Entgleisen gebracht werden.

Jürg Ingold / Wochen-Zeitung
Henni Frey (80) erinnert sich genau: Es war halb drei Uhr am Nachmittag des 24. Juli 1962 als ihr Ehemann Fritz, Stationsvorstand von Schafhausen, sie in der Wohnung im Bahnhof alarmierte und sie mit der kleinen Tochter und dem Hund auf die erhöhte Strasse hinter dem Bahnhof führte. Kurz zuvor hatten die Alarmglocken des Bahnhofs ununterbrochen geläutet und über das Streckentelefon hatte Fritz Frey erfahren dass sich in Biglen 15 beladene Güterwagons selbständig gemacht hatten und sich talabwärts mit 125 Stundenkilometern näherten.

Entgleisung verhinderte Katastrophe

Schnell liess er die Barrieren beim Bahnübergang nach der Station herunter. Er wusste jedoch, kurz vor dem Übergang machte das Gleis eine scharfe Kurve und wenn dort der Zug entgleiste, kämen wartende Autos unweigerlich zu Schaden. Und noch schlimmer, in Hasle-Rüegsau stand ein entgegenkommender Personenzug auf dem Gleis. Es drohte höchste Gefahr. Trotz der möglichen Gefährdung der umliegenden Häuser setzte Frey kurz entschlossen zwei Hemmschuhe auf die Schienen und mit einem Mitarbeiter, den die Glocken aus dem nahen Restaurant Rössli geholt hatten, legte er eine Eichenschwelle über das Gleis. Es blieb nur wenig Zeit. Der 240 Tonnen schwere Geisterzug donnerte heran. Der erste Wagen entgleiste und wurde mit einem gewaltigen Knall an einen bei einem Prellbock stehenden Milchwagen zermalmt. Die anderen Wagen wurden aus dem Gleis in die Wiesen geworfen und der vorderste kam kurz vor dem Bahnübergang zum Liegen. Eine riesige Staubwolke verhüllte die Gegend.

Glück im Unglück

Wie Zündholzschachteln waren Wagons zersplittert, Fahrleitungen aus dem Boden gerissen, Gleisschienen verbogen und Schwellen zerstört worden, aber die Häuser blieben unbeschädigt und Personen waren keine verletzt worden. Das beherzte Handeln von Bahnhofsvorstand Frey hatte eine noch grössere Katastrophe verhindert. Ursache war eine defekte Bremse. Beim Rangieren in Biglen hatte ein mitfahrender Bremser das Versagen bemerkt, er sprang ab um bei einem anderen Wagen die Bremse zu betätigen, kam aber zu Fall und konnte dem Zug nur noch nachschauen.

Viele Schaulustige

Autobusse übernahmen den Personenverkehr und die ganze Nacht wurde durchgearbeitet. Bereits um 8.30 Uhr am nächsten Morgen konnten die ersten Züge wieder passieren. «Das Rössli hatte für die Arbeiter die ganze Nacht offen», erinnert sich Henni Frey, «und am nächsten Tag hatte es so viele Leute in Schafhausen wie sonst nie.» Allerdings dauerte es noch eine Weile bis der Schaden ganz behoben war und das Ereignis sorgte noch lange für Gesprächstoff in der Gegend. Und bis heute natürlich in der Familie Frey, wenn die rüstige Seniorin ihren Gross- und Urgrosskindern vom Unglück und dem mutigen Bahnhofsvorstand erzählt.

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Erstellt: 19.07.2012
Geändert: 19.07.2012
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