Bestattung: Das letzte Bett von Frau Tschanz

Gestern bemalten Jugendliche in Deisswil einen Sarg. Die quicklebendige Eigentümerin war mit dabei.

Martina Kammermann, Berner Zeitung BZ
Im Bestattungsinstitut Finis in Deisswil sassen gestern Nachmittag für einmal keine trauernden Angehörigen, sondern eine Handvoll Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Sie wurden vom Bestatter David Naef eingeladen, zusammen einen Sarg zu bemalen. Und zwar nicht irgendeinen: Die 86-jährige Ali Tschanz, die dereinst ihre letzte Ruhe in diesem Sarg finden soll, war ebenfalls vor Ort.

Wie kam es zu dieser doch etwas ungewöhnlichen Situation? «Der Tod ist ein Tabuthema, und um es etwas aufzulockern, wollten wir ein solches generationen- übergreifendes Projekt machen», sagt Naef. Mit seiner Geschäftspartnerin Marianna Reinhard bietet er im Ferienpass regelmässig Anlässe für Kinder an. «Junge Leute gehen oft viel offener mit dem Tod um als Erwachsene, und da wollen wir ansetzen.» Und auch Werbung für den eigenen Beruf machen? Naef winkt lachend ab: «Absolut nicht. Das Ziel ist aber schon, eine öffentliche Diskussion anzustossen.»

Eine Lektion Leichenkunde

Zuerst erhielt die Gruppe einen Einblick in den Bestatteralltag: Man inspizierte das Transportauto, besichtigte das Sarglager und erhielt dabei allerlei Infos zum Leichenwesen. Zum Beispiel, dass man einen Körper gut zwei Tage ohne Kühlung lagern kann, ohne dass er riecht. Oder dass man Asche auf öffentlichem Grund eigentlich überall verstreuen kann, solange man dabei niemanden stört. «Dann hat vielleicht irgendwer seine Asche in den See gekippt, in dem ich bade?», fragt eine Gymnasiastin. «Klar», antwortet David Naef, «aber die Asche sinkt sofort, das hat auf die Umwelt keine Auswirkung.»

Die Jungs und Mädchen sind, wie sie sagen, ohne grosse Erwartungen gekommen. Sie lauschen allerdings gespannt, was die im Burgerspital lebende, noch sehr rüstige Ali Tschanz zum Tod denkt: «Irgendeinmal wird man sich bewusst, dass das Ende kommt. Aber man kann das Leben trotzdem geniessen.»

Acht Teenager und ein Sarg

Schliesslich geht es zum kreativen Teil. Nur: Wie bemalt man den Sarg einer Person, die man erst seit einer halben Stunde kennt? Die Jugendlichen gehen pragmatisch vor und fragen nach Frau Tschanz’ Lieblingsfarbe, Sternzeichen und Religion. Erstaunlich rasch legen sie los. Während sie sich am Sargdeckel zu schaffen machen, drehen manche Bauarbeiter auf dem Bernpark-Gelände verwundert die Köpfe nach der Gruppe.

Die Jungs und Mädchen selbst bleiben ganz cool. Sie schnattern und witzeln – es herrscht alles andere als eine Totengräberstimmung. Ali Tschanz bleibt dabei im Hintergrund. Wie fühlt es sich an, wenn der eigene Sarg vorbereitet wird? «Ein bisschen mulmig ist mir schon, aber es ist auch schön, zu wissen, wo ich dereinst liegen werde. Ich sehe es als mein letztes Bett.» Dass sie die Jugendlichen nicht kennt, stört sie nicht. Sie habe sich darauf eingelassen, weil sie Marianne Reinhard schon lange kenne und weil es ja auch etwas Gutes habe, vorbereitet zu sein.

«Das sprudelt und fliesst»

Das leuchtend farbige Schlussresultat gefällt ihr: «Das sprudelt und fliesst, so ist es gut.» Und die Jugendlichen scheinen doch auch berührt von dem Gedanken, dass ihr Werk Ali Tschanz auf ihrem letzten Weg begleiten wird. Was nehmen sie mit? «Ich kann mir jetzt besser vorstellen, was passiert, wenn jemand stirbt», sagt die 14-jährige Lisa. Das freut Naef: «Wir wollten einfach einen Zugang schaffen.» Tja, warum nicht mit ein paar Tuben Acrylfarbe?

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Erstellt: 11.08.2016
Geändert: 11.08.2016
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