Kindsverlust: "Sternenkinder bekommen einen Platz"
Heute wird in Konolfingen ein Grabfeld für Sternenkinder eingeweiht. Anna Margareta Neff ist Leiterin der Fachstelle Kindsverlust. Im Interview erzählt sie, warum ein solcher Ort wichtig ist.
Frau Neff, Sie sind Hebamme. Wie war es für Sie, als Sie einer Frau zum ersten Mal sagen mussten, dass ihr Kind im Bauch gestorben ist?
Ich erinnere mich gut daran. Eine Frau kam mit Wehen ins Spital. Ganz normal zum Geburtstermin. Als ich die Herztöne abhören wollte, fand ich sie nicht. Ich war überfordert und wusste nicht, was ich sagen sollte.
Wurden Sie in der Ausbildung nicht auf solche Situationen vorbereitet?
Doch. Aber das Thema, wie man mit dem frühen Tod eines Kindes umgeht, machte lediglich fünf Tage der dreijährigen Ausbildung aus. Und das war sehr theoretisch.
Und wie haben Sie in der Praxis reagiert?
Ich bin bei dem Paar geblieben, wir haben nicht viel geredet. Irgendwann habe ich die Eltern gefragt, ob sie etwas trinken möchten oder nach draussen an die frische Luft gehen möchten. Es ist wichtig, ein Stück Normalität zu bewahren.
Neben Ihrer Arbeit als Hebamme engagieren Sie sich bei der Fachstelle Kindsverlust. Wie kam es dazu?
Der frühe Kindsverlust gehört zu meiner Arbeit. Denn Hebamme sein heisst, an beiden Seiten des Lebens – bei der Geburt und beim Sterben – dabei zu sein. Deshalb habe ich mich auch als Trauerfachfrau weitergebildet.
Gab es einen besonderen Moment, der Sie zum Engagement veranlasst hat?
Von Eltern habe ich oft gehört, dass sie sich sehr alleingelassen fühlten. Das zu ändern, war meine Motivation.
Wofür setzt sich die Fachstelle ein?
Uns geht es um die Beratung und die Begleitung von Familien nach einer Fehl- oder einer Totgeburt. Und auch Fachpersonen sollen wissen, wie sie mit solchen Situationen umgehen können. Wir verorten in diesem Bereich immer noch grosse Mankos.
Wie erklären Sie sich diese Mankos?
Wenn ein Kind stirbt, ist das etwas, das nicht sein darf. Das Kind – so reagieren die Betroffenen oft – soll so schnell wie möglich aus dem Bauch. Sie denken, dass ein Kaiserschnitt oder ein schnelles Einleiten der Geburt alles wieder gutmacht.
Früher oder später muss die Familie Abschied nehmen. Was gilt es bei der Bestattung zu beachten?
Totgeburten – sprich Kinder, die nach der 22. Schwangerschaftswoche sterben – erhalten einen Eintrag ins Personenstandsregister und dürfen demnach auf einem Friedhof beerdigt werden. Fehlgeborene Kinder, die vor der 22. Woche sterben, werden hingegen nicht eingetragen.
Was passiert mit ihnen?
Für sie besteht kein Recht auf eine Bestattung. In vielen Fällen, vor allem wenn sie vor der 12. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, werden sie entsorgt – mit den medizinischen Abfällen des Spitals. Gemeinden können Bestattungen aber rechtlich ermöglichen, was eine Wertschätzung für die Familien ist.
So wie in Konolfingen entstehen immer mehr Grabfelder für fehlgeborene Kinder, sogenannte Sternenkinder.
Das ist eine gute Entwicklung. Die Kinder erhalten somit einen Platz. Für die Eltern ist es enorm wichtig, zu wissen, wo ihr Kind ist. Es hilft ihnen, wenn sie zu diesem Ort hingehen und ihre Gefühle ausleben können.
Gibt es weitere Gründe für einen solchen Ort?
Eltern erzählen mir oft, dass sie nie eine Bestätigung von aussen erhalten haben, dass es ihr Kind gegeben hat. Mit einem Grab ändert sich das. So sehen alle, dass es diese Kinder einmal gegeben hat und sie Eltern geworden sind.
Auf Bundesebene gibt es zahlreiche Vorstösse für die Anerkennung fehlgeborener Kinder. Nun hat der Bundesrat beschlossen, 2019 ein Formular einzuführen.
Als Fachstelle waren wir bei der Ausarbeitung des Vorschlags dabei. Die Regelung sollte eigentlich noch weiter gehen. Wir hätten uns gewünscht, dass Eltern künftig auch fehlgeborene Kinder ins Personenstandsregister eintragen lassen können. Das ist nun nicht der Fall.
Sind Sie enttäuscht?
Einerseits ja. Andererseits ist es nun immerhin möglich, eine amtliche Bestätigung für das eigene Kind zu bekommen. Es ist ein Kompromiss.
Wären weitere Schritte nötig?
Die Begleitung während der Schwangerschaft und die Nachbetreuung sollten in der Grundversicherung verankert werden – unabhängig davon, ob das Kind lebt oder in welcher Schwangerschaftswoche es gestorben ist.
Wie ist die aktuelle Regelung?
Heute gilt eine Schwangerschaft bis zur 12. Woche als Krankheit. Erst danach gilt die Mutterschaft, wobei Franchise und Selbstbehalt wegfallen. Doch Schwangere sind nicht krank und benötigen teilweise schon früher eine Untersuchung.
Anna Margarta Neff (50) ist Leiterin der Fachstelle Kindsverlust. Sie arbeitet zudem als Hebamme und Trauerfachfrau mit einer eigenen Praxis. Sie lebt in Bern.
Ein Ort der Hoffnung
In den letzten Wochen wurde in Konolfingen das Kindergrabfeld umgestaltet und ein Grabfeld angelegt für Sternenkinder – Kinder, die bereits während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Heute werden die Grabfelder der Bevölkerung übergeben.
«Uns war wichtig, die Kindergräber und das Grabfeld für die Sternenkinder gemeinsam anzulegen. Damit gehört dieser Teil des Friedhofs den Kindern», erzählt Ruth Ruef. Sie ist Präsidentin des Gemeindeverbands für das Friedhofswesen.
Auf dem Sternengrabfeld können Urnen oder Särglein beigesetzt werden. Zudem sind auf dem Feld Sterne eingelassen, worauf Familien Blumen, Kerzen oder andere Andenken niederlegen können.
Manchenorts sind Bestattungen nicht möglich, wenn die Kinder vor der 22. Schwangerschaftswoche sterben oder das Gewicht von 500 Gramm nicht erreicht haben. Solche Beschränkungen gibt es in Konolfingen nicht.