Auswanderer: Eine Grosshöchstetterin stemmt sich gegen die Katzentragödie an der spanischen Mittelmeerküste

Eigentlich steht hier nur ihr Ferienhaus. Aber für das Grosshöchstetter Ehepaar Renée Boillat und Urs Ramstein ist Les Tres Cales an der spanischen Mittelmeerküste zur neuen Heimat geworden. Die Katzen lassen sie nicht mehr los.

Quentin Schlapbach, Berner Zeitung BZ

Plötzlich macht der Geländewagen Halt. Karin Müller steigt aus und läuft zum Auto von Renée Boillat. «Hast du gesehen, wer durchgefahren ist?» Boillat nickt. «Das ist der Mann, der von seiner Veranda auf Katzen schiesst. Wir müssen noch etwas warten, sonst bringen wir die Katzen unnötig in Gefahr», sagt Müller und steigt zurück ins Auto. Die Minuten vergehen. Dann geht die Fahrt weiter. Weiter durchs schachbrettartige Strassenlabyrinth von Les Tres Cales. Auf zur nächsten Futterstelle.

Renée Boillat aus Grosshöchstetten und Karin Müller, eine ausgewanderte Rentnerin aus Deutschland, sind zwei einsame Kämpferinnen. Sie kämpfen für die Katzen von Les Tres Cales. Dafür, dass sie eine Überlebenschance haben. Eigentlich ist der Ort 150 Kilometer südlich von Barcelona in Spanien ein mediterranes Paradies. Stechpalmen, Olivenbäume, Zypressen und Oleander säumen die Strassen, von weitem rauscht das Meer. Niemand würde vermuten, dass dieses Paradies für einige seiner Bewohner die Hölle ist.

Erschiessen, Vergiften, Ertränken, Überfahren, mit Hunden jagen: Es wird nichts ausgelassen, um die Streuner-Katzen von Les Tres Cales loszuwerden. «Bestenfalls werden sie in Ruhe gelassen», sagt Müller. Sie hat Tränen in den Augen.

Mit Mama fing alles an

Wenige Stunden zuvor: Renée Boillat und ihr Ehemann Urs Ramstein sitzen in ihrem Haus und trinken Kaffee. Zwergdackel Chili wuselt um die beiden herum. 40 Jahre lang wohnten sie in Grosshöchstetten. Vier Kinder zogen sie gross. Sie führte ihr Immobilienbüro, er arbeitete bei der Schaerer Medical AG in Münsingen – von der Lehre bis zur Pension, 47 Jahre lang. Noch immer trägt er mit Stolz das Poloshirt mit dem Firmenlogo.

Seit gut zwei Jahren ist das Paar aber kaum noch in der Region Bern anzutreffen. Und das hat einen Grund: die Katzen. «Jemand muss ihnen ja helfen», sagt Boillat. Die Sache geht ihr ans Herz. Alles fing an im Frühling 2014. Da stand eines Tages Mama im Garten, hochschwanger und extrem scheu. Boillat stellte ihr Futter hin. «Sie hat es nie selbst gegessen, sondern brachte es immer den Jungen.» Vier Katzenbabys bekam Mama. Drei sind mittlerweile gestorben. Einer, der Joggeli, wohnt noch immer mit Mama in Boillats Garten.

Aber Mama und Joggeli sind nicht die einzigen Katzen, die Hilfe benötigen. Es hat so viele. Hausbesitzer aus ganz Europa brachten sie über die Jahre hierher. Die Besitzer gingen, ihre Katzen blieben. Die Population geriet ausser Kontrolle. Zu Dutzenden streunen sie nun herum und kämpfen ums tägliche Überleben: Kaum Futter, militante Katzengegner, und überall lauern Krankheitserreger.

Boillat wollte dem Leid nicht länger tatenlos zusehen. Ein paar Hundert Meter von ihrem Haus hat sie auf einem Grundstück der Gemeinde eine Futterstelle errichtet. Gut 15 Katzen erwarten sie seither jeden Morgen, wenn sie Futter bringt. Dieses kauft sie in Grosspackungen im Supermarkt. 400 Euro gibt sie dafür monatlich aus. Hinzu kommen Kosten für Kastrationen, Männlein und Weiblein, 70 Euro pro Tier. Aber alle Katzen einzufangen und zu kastrieren, ist schwierig. «Sie sind sehr misstrauisch. Aber sie müssen es sein. Sonst werden sie hier keinen Tag alt.»

Eine ungewisse Zukunft

Zurück im Auto: Boillat und Müller steuern die nächste Futterstelle an. Müller lebt von einer 800-Euro-Rente. Das meiste davon gibt sie für die Katzen aus. Am nächsten Halteplatz tummeln sich gut acht Katzen um den Futtertrog. «Ist die schwanger?», fragt Boillat und zeigt auf eine dickbäuchige Katzendame. «Natürlich», antwortet Müller halb wütend, halb traurig. Die Jungen haben meist ein kurzes Leben. Oft werden sie von streunenden Hunden gefressen.

Es ist die letzte von fünf Futterstellen, die Müller täglich abklappert. Sie ist müde und verabschiedet sich. Am nächsten Tag geht die Tour wieder los. Boillat betreut nur eine Futterstelle, «mehr mag ich mit meinen 72 Jahren einfach nicht. Sie hilft aber mit, das Futter für die anderen Stellen zu finanzieren.

Die Fahrt geht zurück zum Anwesen. Dackel Chili sorgt für einen freudig-lauten Empfang. Brot, Salami und Emmentaler stehen auf dem Tisch. Boillat vermisst die Schweiz nicht wirklich. Die gut drei Monate im Jahr, die sie in Grosshöchstetten lebt, reichen ihr. Ihr Mann hingegen würde gerne mehr Zeit in der alten Heimat verbringen. Aber eben: die Katzen. «Wenn wir weg sind, betreut Karin meine Futterstelle», sagt Boillat. So sind die Tiere nicht sich selber überlassen.

Dennoch bereitet ihr das Engagement zunehmend Sorgen, so fast allein gegen eine katzenfeindliche Umgebung. Boillat seufzt. «Vielleicht hätten wir gar nie damit anfangen sollen», sagt sie. Wie geht es weiter? Werden ihr weitere Leute helfen? Will eines der vier Kinder das Haus übernehmen? Und schauen auch sie zu den Katzen? Trotzdem: Einfach so aufhören, das geht nicht. Da steht Boillat das Herz im Weg. Und wieder kommen die Worte aus ihrem Mund, die sie so oft sagt: «Jemand muss ihnen ja helfen.»

[i] EINE GROSSHÖCHSTETTER ENKLAVE

Spanier, Deutsche, Franzosen, Belgier, Holländer, Russen, Schweizer – es gibt kaum ein europäisches Land, das in Les Tres Cales an der spanischen Mittelmeerküste nicht vertreten wäre. Grosshöchstetten ist hier so prominent vertreten wie kaum ein anderes Dorf: Vier Familien besitzen in der Siedlung ein Haus, und eine einstige Angestellte von Renée Boillat vermietete von der Schweiz aus Ferienhäuser in Les Tres Cales.

Boillat und ihr Mann Urs Ramstein kamen vor gut 20 Jahren auf den Geschmack. Sie kauften ein Stück Land und bauten ein Haus, auch, weil «es unserem damaligen Hund so gut gefallen hat», so Boillat. In der Folge erlebten sie einen unglaublichen Immobilienboom, der mit der Wirtschaftskrise 2008 aber jäh endete. Die Immobilienpreise sanken stark, aktuell stehen in Les Tres Cales 400 der 1000 Häuser zum Verkauf.


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Erstellt: 02.05.2016
Geändert: 02.05.2016
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