Mit "Küder" und Kohle: Roland Christen tüftelt am Asphalt der Zukunft
Roland Christen tüftelt am Flickasphalt von morgen. Seine Mittel: Abfall und Pflanzenkohle. Damit will der Kiesener den Asphalt langlebiger, umweltverträglicher und einfacher handhabbar machen. Vor seiner Haustüre führte er letztes Jahr für die Gemeinde mehrere Testprojekte durch (BERN-OST berichtete). BERN-OST hat nachgefragt, was dabei herauskam und wie seine Idee funktioniert.
Im August letzten Jahres hatte die Kiesener Baukommission einen ungewöhnlichen Einsatz: Sie legte selber Hand an bei der Reparatur von Rissen in gemeindeeigenen Strassen und im Sportplatz der Schule. So laienhaft dies klingt – es kam gut.
"Es ist eine Fünf", sagt Roland Christen. Er unterrichtet am Baukompetenzzentrum Sursee in Werterhaltung von Infrastrukturen und betreibt in Kiesen die Beratungsfirma InfraTrace, die sich mit demselben Thema befasst. Was ihn besonders interessiert, sind neuartige Bitumenprodukte mit Zusätzen von Recyclingasphalt und Pflanzenkohle. Damit flickt er Schäden in bestehenden Belägen.
Der Kiesener Baukommissionspräsident André Mühlemann erfuhr davon. Beim mit sehr tiefen, langen und breiten Rissen übersäten Sportplatz und weiteren Problemstellen auf Strassen in der Gemeinde sah er schon länger Handlungsbedarf. Sie entpuppten sich als ideales Testfeld für Christens neue Produkte. Und die Gemeinde erhielt eine kostengünstige Lösung für ihre Probleme.
Kalte Verarbeitung spart CO2
Der Clou ist, dass Christen mit kalten Materialien arbeitet, im Gegensatz zum sonst üblichen bis zu 170 Grad heissem Asphalt. Damit reduziere sich erstens der CO2-Ausstoss massiv. Das heisse Bitumen müsse auf dem ganzen Weg von der Raffinerie auf die Strasse auf dieser Temperatur gehalten werden. Das brauche viel Energie und mit dem Dampf des kochenden Bitumens entweiche viel CO2. "Für das kalte Material wird das Bitumen auf Zimmertemperatur gekühlt, bevor es die Raffinerie verlässt", so Christen.
Zweitens können auch angelernte Laien – wie die Mitglieder der Baukommission – gefahrlos mit dem kalten Flickasphalt hantieren. Mit dem ehrenamtlichen Einsatz der Kommissionsmitglieder sparte die Gemeinde somit einiges an Kosten.
"Es war spannend für mich, zu sehen, ob jemand nur mit einem kurzen Briefing mit dem Material arbeiten kann", sagt Christen. Die gute Note, die er dem Projekt gibt, beinhaltet auch diesen Faktor. Und: "Es waren schwierige Verhältnisse. Es war sehr heiss, sodass wir nur morgens arbeiten konnten". Abzug gibt es für die feinen Haarrisse, die nach dem Winter auf dem Sportplatz erschienen. "Aber damit können wir leben." Für die nächsten fünf bis sechs Jahre sei der Platz funktionstüchtig.
Testfeld vor der Haustür
Christen wohnt direkt neben dem Sportplatz. "Ich könnte es nicht besser haben. Besonders die Auswirkungen von Temperaturschwankungen konnte ich so gut beobachten", sagt er. Zudem konnte er im Werkhof ein Testlabor einrichten. Hier experimentiert er weiterhin mit der Rezeptur der Asphaltmasse, welche bei den Schäden in den Strassen zum Einsatz kam. "Ich teste verschiedene Mengen an hinzugefügter Pflanzenkohle und schliesse laufend Löcher." Die Gemeinde bezahlt dafür nichts.
Die Pflanzenkohle im Asphalt ist ein Novum. "Das ist ein ganz wichtiges Thema, wenn es darum geht, wie wir unsere CO2-Bilanz verbessern können", sagt Christen. Im Ausland sei der Stoff schon in aller Munde, in der Schweiz produziere ihn bislang nur die Firma IWB aus Basel im grossen Stil. Das besondere an Pflanzenkohle ist, dass sie CO2 bindet. "Und zwar so, dass es nicht mehr in die Atmosphäre gelangt", so Christen. Ein Kilogramm dieser Kohle binde das Dreifache an CO2. Und bei ihrer Herstellung werde kaum davon freigesetzt. Gewonnen wird sie aus Abfall wie Grüngut, Schnitzel, Hausabfällen, Klärschlamm und Rasenschnitt, also Materialien, die in jeder Gemeinde zu Hauf anfallen. "Wir haben den Rohstoff in den Fingern. Die Gemeinden könnten selber Pflanzenkohle produzieren", sagt Christen.
Wundermittel Pflanzenkohle und Recyclingasphalt
Und: Pflanzenkohle habe viele Vorzüge. "Kühe, die sie fressen, sind gesünder und ihre Gülle stinkt weniger", zählt Christen eine Anwendungsmöglichkeit in der Landwirtschaft auf. Oder sie binde Pestizide in Böden. Bekannt sei sie auch unter dem Namen Aktivkohle als Heilmittel bei Durchfall. "Den Asphalt macht die Pflanzenkohle stabiler. Sie verlangsamt die Rissbildung und damit den Alterungsprozess des Asphalts", sagt Christen.
Seiner Masse fügt er zudem recycelte, zu Pulver gemahlene Asphaltabfälle bei. Darin habe es neben Stein immer noch einen Rest hochwertiges Bitumen. "Ich war verblüfft. Das gibt eine hervorragende Qualität", sagt Christen. Einen Testflick in Kiesen platzierte er letztes Jahr auf einer stark von LKWs befahrenen Strasse. "Die Stelle ist immer noch tiptop."
Kiesen fährt weiter
Auch bei Randfugen auf einem Trottoir in Kiesen war der Einsatz von Christens Flickasphalt ein Erfolg. "Es sieht aus wie am ersten Tag", sagt er. Der Einsatz dort lohne sich besonders, weil sonst in mühsamer Arbeit ständig Grünzeug aus solchen Ritzen entfernt werden müsse. Christens Bilanz nach dem einen Jahr: "Ich kann jeder Gemeinde empfehlen, Reparaturen vermehrt mit diesem Material zu machen." Die Gemeinde Kiesen hat er schon überzeugt: Als nächstes sollen die Bahnhofstrasse und weitere Trottoirs mit seinem Flickasphalt repariert werden.