Allmendingen - So eigenwillig wie Sergius Golowin

Mit ihren kubischen Formen und dem Türmchen hebt sich die Villa Caldwell von der üblichen Architektur im Aaretal ab. Das passt zu ihrem vorherigen Besitzer Sergius Golowin. Der Mythenforscher ist vor zehn Jahren gestorben.

Stephan Künzi, Berner Zeitung BZ

Fahrzeug an Fahrzeug rollt nur 50 Meter entfernt auf der Autobahn vorbei. Stetig ist der Lärm und intensiv, und unvermittelt kommt das Gefühl auf, das nächste Auto werde einem glatt über die Füsse fahren. Umso eindrücklicher ist auf diesem Balkon die Aussicht, weit geht der Blick über die dichte Hecke aus Bäumen und Büschen hinweg nach Belp, ins Gürbetal und bis zum Gantrisch. Sie ist der Grund, dass das Haus genau hier steht.

John und Agnes Caldwell-Welti hiess das Paar, das 1934/1935 die Villa am Bergliweg bei Allmendingen bauen liess, dort, wo sich das Terrain zur Aare mit ihren Auen senkt. Der Volksmund redet noch heute von der Villa Caldwell. Mit ihrem Flachdach, dem Türmchen und den strengen kubischen Formen passt sie so gar nicht zur ländlich-bäuerlichen Architektur, die das Aaretal sonst prägt. Sie kommt so unkonventionell daher, wie es ihr späterer Besitzer sein sollte: Von 1982 bis 2004 war hier Sergius Golowin mit seiner Familie daheim.

Dessen Todestag jährt sich in diesen Tagen zum zehnten Mal – ob vom Publizisten, Mythenforscher und Politiker im alten Haus noch Spuren zu finden sind?

Vollgestopft mit Büchern

Cornelius Egger ist der heutige Hausherr in der Villa Caldwell. Als solcher will er zwar im Hintergrund bleiben, das Haus zeigt er aber gerne, und er stellt gleich klar: Viel wisse er über seinen Vorgänger nicht. Er habe ihn nur ein paarmal gesehen, vorab bei den beiden Besichtigungsterminen vor Ort. Eine stattliche Erscheinung sei der damals 74-Jährige mit seiner langen Mähne gewesen – und ja, fährt Egger fort, im Gegenzug habe er Golowin für die letzten zwei Jahre eine Wohnung in Bern vermietet. Auf die Villa Caldwell sei er übrigens per Zufall gestossen. «Sie war im Internet ausgeschrieben».

Dann steigt in Egger doch noch eine konkrete Erinnerung hoch. Das Billardzimmer sei zu Golowins Zeiten mit Büchern vollgestopft gewesen. «Regal stand an Regal, und die Tablare hingen, obwohl aus Metall, unter dem Gewicht durch.»

In der Welt der Sagen

Die Bücher. Sie waren die Leidenschaft von Sergius Golowin, trieben den 1930 geborenen Sohn eines russischen Bildhauers und einer Dichterin mit Wurzeln im Berner Patriziat das ganze Lebens um. Seine berufliche Laufbahn fing er als Assistent an der Stadtbibliothek in Bern an, wechselte dann in den zu Ende gehenden 1950er-Jahren als Stadtbibliothekar nach Burgdorf. Dort blieb er bis 1968, als er den Posten räumen musste und sich der freiberuflichen Tätigkeit als Publizist zuwandte. Zu unkonventionell, ja nonkonformistisch war er seinem kleinstädtisch geprägten Umfeld geworden.

Denn Golowin ging inzwischen in jenen berühmten Berner Kellern ein und aus, in denen sich schon länger allerhand kritische Geister trafen. Es herrschte eine Aufbruchstimmung, die so wenig mit dem konservativen Geist des offiziellen Lebens von damals gemein hatte. Sein Kampf für die Randständigen und die Umwelt, den er in den 1970-Jahren als LdU-Politiker im Grossen Rat fortsetzte, passte perfekt in dieses Milieu. Dazu tauchte er mehr und mehr in die Welt der Sagen ein – im festen Glauben, dass sich darin uraltes Wissen finde, dessen Erhalt sich lohne.

Und doch noch Spuren

Dass er sich derart für die Sache der Mythen und Riten einsetzte, machte ihn über die Region Bern hinaus bekannt. An die Öffentlichkeit trat er damit schon 1961, als er im Zuge des Autobahnbaus lauthals gegen die Versetzung der sagenumwobenen Botti-Steine auf dem Grauholz protestierte. Später setzte er sich sehr für die Wiederbelebung der Berner Fasnacht ein. Sein Wissen wurde von den Medien gerne genutzt. In mehreren Interviews philosophierte er in der BZ über den Wert überlieferter Geschichten. «Darin spielen Tiere und Pflanzen sowie Fabelwesen und Kobolde tragende Rollen – gerade für das Erwachen im Frühling», sagte er zu Pfingsten 2000.

In der Villa am Bergliweg erinnert derweil Hausherr Cornelius Egger daran, dass die Autobahn schon zu Golowins Lebzeiten die alles bestimmende Geräuschkulisse abgab. Sie war ein paar Jahre zuvor eröffnet worden und machte dem Idyll, das die Bauherren in den 1930er-Jahren gesucht hatten, definitiv ein Ende. Zumal, wie Egger weiter erklärt, Lärmschutz am denkmalgeschützten Gebäude noch heute nicht durchgängig möglich ist: Während der jüngsten Umbauten liessen sich die Fenster nur bedingt sanieren, weil sie zu dick geworden wären und in bisheriger Art nicht mehr funktioniert hätten.

Und Golowins Spuren? Ach ja, jetzt kommt Egger noch etwas in den Sinn: Er habe von ihm eine Kiste Bücher geerbt. Science-Fiction-Romane, die er selber gern lese.

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Erstellt: 21.07.2016
Geändert: 21.07.2016
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