Schlosswil - Vom Buregieu zum Flugkapitän

Vom ersten Kurs der Fliegerischen Vorschulung zum Kapitän eines Airbus A340, so könnte das turbulente Leben des Schlosswilers Toni Herrmann beschrieben werden. In einem zweiteiligen Artikel berichtet Werner Reber auf BERN-OST sein Abenteuer mit dem Piloten und informiert über dessen spannenden Werdegang.

Werner Reber, info@bern-ost.ch
Im Jahr 1973 absolvierte der damals 19-jährige Toni Herrmann von der unteren Mühle in Schlosswil seinen ersten Kurs der Fliegerischen Vorschulung, und am 24. August 2014 landete er als Langstrecken-Kapitän seinen Airbus A340 – von San Francisco herkommend – zum letzten Mal in Zürich. Dazwischen liegen 40 Jahre Fliegen aus Leidenschaft; eine berufliche Karriere, die sich fast wie ein Märchen anhört. Ich hatte Gelegenheit, den heute 60-Jährigen im Cockpit eines Airbus A330 auf einem Swiss-Flug nach Tel Aviv zu begleiten.

Sonntag, 1. Juni 2014. «Hurra, Freude herrscht, denn heute gehe ich in die Luft!» Das waren meine Gedanken, als ich an diesem Morgen den Schnellzug nach Zürich bestieg. Das Check-in am Flughafen war schnell erledigt, dann holte mich Kapitän Toni Herrmann persönlich am Gate ab. Er stellte mir seine Crew vor und wies mir meinen Platz im Cockpit zu, mit der Aufforderung, mich bei Start und Landung schön ruhig zu verhalten. Mein erster Eindruck war, dass es ein paar Instrumente mehr hatte, als zu Hause in meinem SKODA. Die beiden Arbeitsplätze von Kapitän (links) und First Officer waren identisch, waren also mit denselben Instrumenten ausgestattet. Ins Auge stachen das grosse multifunktionale Instrument mit Kompass und Wetterradar, der künstliche Horizont, der seitlich angebrachte Steuerknüppel sowie der Leistungshebel, mit dem beim Start Vollschub gegeben wird. Nun hatte ich Gelegenheit, die Startvorbereitungen aus nächster Nähe mitzuverfolgen.
 
Schönen guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich bin Ihr Flugkapitän Toni Herrmann und möchte Sie persönlich ganz herzlich willkommen heissen an Bord unseres Airbus A330 auf dem Flug nach Tel Aviv. Wir erreichen in Kürze unsere Startpiste, wo wir als Nummer drei in rund sechs Minuten starten werden. Weitere Informationen bezüglich Route und Wettersituation dann nach dem Start. Ich wünsche Ihnen nun einen wunderschönen Flug.
 
Dann rollte unser A330 – Startgewicht rund 195 Tonnen – zur Startbahn 28, die beiden mächtigen Triebwerke heulten auf, das Flugzeug beschleunigte auf 240 km/h, hob ab und verschwand schon bald über dem Zürcher Himmel. Unser Ziel war der Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv – nach dem Mitbegründer des Staates Israel im Jahr 1948 benannt – den wir nach rund 3000 Kilometern oder drei Stunden und 50 Minuten Flugzeit erreichen sollten. Schon nach kurzer Zeit überquerten wir den Bodensee und nahmen dann Kurs auf Venedig, wo ein Wolkenloch den Blick auf die Lagunenstadt freigab. Wir überflogen bekannte Badeorte der jugoslawischen Adria wie Split und Dubrovnik und passierten den Norden von Griechenland. Unterdessen war Essenszeit und mich erwartete ein weiteres Highlight: Flight Attendant Inge Gschwend wies mir einen Sitzplatz in der First Class zu. Zum Apéro ein Cüpli, dann ein feines Mittagessen mit Dessert und noch ein Goniäggli obendrauf, so lässt es sich leben wie Gott in Frankreich.

In der Zwischenzeit hatten wir das griechische Festland passiert und überflogen die Ägäis, und schon bald tauchte auf der linken Seite die grosse Insel Zypern auf. «Siehst du da vorne diesen weissen Streifen», fragte mich Kapitän Toni Herrmann, «das ist bereits die Küste von Israel». Tel Aviv entpuppte sich als eine moderne Stadt mit Hochhäusern und viel Verkehr auf den Strassen. Der Anflug auf Ben Gurion ist für die Piloten recht anspruchsvoll. Nach einer grossen Linkskurve hatten sie die richtige Position für die Landung, die Piste lag jetzt direkt vor uns. «400, 300, 200, 100, 50, 20, 10», eine Stimme aus dem Lautsprecher gab dem Piloten die exakte Flughöhe in Fuss an. Diese Angaben generiert ein Radiohöhenmesser, der senkrecht die Höhe des Fahrwerks über Grund misst. Der Pilot braucht diese Angaben nicht zwingend, bezieht sie aber in den Landeablauf mit ein. Dann setzte First Officer Simon Klingler den Airbus sanft auf die Piste auf. Es war ein fantastisches Erlebnis, die Landung eines Riesenvogels aus dieser Perspektive mitzuerleben.
 
Der Aufenthalt in Tel Aviv dauerte lediglich anderthalb Stunden, so dass es sich für mich nicht lohnte, den Flieger zu verlassen. In dieser Zeit wurde die A330 aufgetankt, geputzt und für die neuen Passagiere hergerichtet. Dabei kamen auch verschiedene Leute ins Cockpit: Mechaniker, Putzmannschaft, Flugplaner mit Infos und Daten für den Rückflug, Stationsleiter, Sicherheitspersonal. Diese Pause gab mir auch Gelegenheit, mich mit Kapitän Toni Herrmann über verschiedene Aspekte in der modernen Verkehrsfliegerei zu unterhalten.

Wie wird die benötigte Treibstoffmenge samt Reserve berechnet?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wettersituation am Zielort, nur eine oder mehrere Pisten, mögliche Anflugverzögerung, Distanz zum Ausweichflughafen. In Tel Aviv hatten wir 25 Tonnen Treibstoff geladen (davon waren in Zürich noch rund 6 Tonnen vorhanden, was für einen weiteren Anflug/Durchstart in Zürich und eine Ausweichlandung in Basel gereicht hätte). Dazu sehen wir bei der Planung, wie ungefähr der Treibstoffverbrauch bei den gleichen Flügen im vergangenen Jahr war.
 
Wird in Notsituationen in der Luft noch Treibstoff abgelassen?
Der A330 kann keinen Treibstoff ablassen. Im Notfall kann das Flugzeug mit dem maximalen Abfluggewicht von 233 Tonnen gelandet werden. Dagegen kann der vierstrahlige A340 (Ultralangstrecke) bei einer sofortigen Rückkehr Treibstoff ablassen, das maximale Startgewicht ist aber mit 275 Tonnen auch bedeutend höher als beim A330. (Übrigens fliegt Toni Herrmann den A330 sowie den A340.)
 
Wie würde ein plötzlicher Startabbruch bei voller Beschleunigung ablaufen?
Das bis zu 275 Tonnen schwere Flugzeug wird bei technischen Problemen während des Starts (zum Beispiel Triebwerksschäden wegen Vogelschlags) mit den Radbremsen und vollem Rückwärtsschub auf der Piste abgebremst. Für jeden Start wird deshalb eine detaillierte Startgewichtsberechnung erstellt, damit bei einer Vollbremsung genügend Pistenlänge zur Verfügung steht. Dabei sind noch verschiedenen Faktoren ausschlaggebend: Pistenlänge, Pistenzustand (zum Beispiel kann Schnee wegen des verlängerten Bremsweges bei einem möglichen Startabbruch einen Start gar verunmöglichen), Wind, Temperatur (Triebwerkleistung sinkt mit steigender Temperatur), Luftdruck (Triebwerkleistung sinkt mit fallendem Luftdruck) und der wichtigste Punkt ist natürlich das aktuelle Startgewicht des Flugzeuges.
 
Es gibt doch da diese Filmstory von der Fischvergiftung beider Piloten. Wird darauf geachtet, dass so etwas nur im Film geschieht?
Absolut, Piloten essen nie das gleiche Menu. Dies ist auch schon beim Frühstück im Hotel an kritischen Destinationen zu beachten. Im Weiteren ist bei von der Crew oder von Fluggästen mitgebrachten Süssigkeiten oder Speisen grösste Vorsicht geboten.
 
Werdet Ihr auf Euren Flügen auch mit medizinischen Notfällen konfrontiert?
Natürlich kann immer etwas passieren. Dazu sind unsere Flight Attendant bestens ausgerüstet und auch am Defibrillator ausgebildet. Auch führen wir einen grossen, gut bestückten Notfallkoffer mit. Ist kein Arzt oder medizinisches Personal an Bord, erfolgt eine Rückfrage bei der REGA. Auf meinen Flügen traten die meisten Probleme wegen Übermüdung und zu wenig Flüssigkeitsaufnahme auf (Kreislaufkollaps). Auch Thrombosen sind wegen zu wenig Bewegung ein häufiges Problem. Generell verschärft sich das Problem wohl noch, weil viele ältere Menschen vermehrt (weit) reisen.
 
Unser Flugzeug war auf dem Rückflug voll besetzt, ein Glück für mich, denn so konnte ich im Cockpit bleiben und das Ganze nochmals von hier aus miterleben. Für den Rückflug übernahm Kapitän Toni Herrmann das Steuer. Wir starteten aufs Meer hinaus und passierten Zypern und Rhodos, dann nahmen wir Kurs in Richtung Tessaloniki, Skopje und Ljubljana. Unser Flugzeug wurde von Bodenstation zu Bodenstation weitergereicht. Nun flogen wir über einer dichten Wolkendecke, die sich erst wieder auflockerte, als wir über Österreich waren. Anhand der schweizerdeutschen Wortfetzen im Funk erkannte ich, dass wir uns bereits im Einzugsgebiet des Flughafens Zürich befanden. Der Sinkflug war wiederum sehr spannend, denn Toni Herrmann erklärte mir, dass wir jetzt quasi im Leerlauf flögen bzw. segelten und dabei fast keinen Treibstoff verbrauchten, denn ein Verkehrsflugzeug habe sehr gute Segeleigenschaften. Ein Beispiel dafür war ja die geglückte Wasserung eines A320 auf dem Hudson River bei New York vor fünf Jahren, als alle Passagiere das Flugzeug über die Notrutschen unverletzt verlassen konnten. Bei diesem Vorfall war nebst der super Reaktion des Kapitäns sehr wichtig, dass der Fluss eine lange «Landebahn» (ohne Wellen) aufwies und das Flugzeug mit keinem Boot zusammenstiess.
 
Auf der rechten Seite in Flugrichtung erblickte ich bereits den Rheinfall und das Weindorf Hallau, und schon bald tauchte am Horizont als heller Strich die Piste 14 des Flughafens auf, wo Toni Herrmann den A330 perfekt aufsetzte. Damit ging für mich eine Reise zu Ende, die ich wohl zeitlebens nicht vergessen werde. Es war ein Bubentraum, und ich gehöre von nun an zu jenen Privilegierten, bei denen dieser Traum Wirklichkeit wurde. An dieser Stelle danke ich Kapitän Toni Herrmann und der ganzen Crew für die freundliche Aufnahme und Betreuung während des ganzen Fluges.

Mehr aus Toni Herrmanns Leben werden Sie in einem zweiten Teil erfahren...

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Erstellt: 04.09.2014
Geändert: 04.09.2014
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