29. Eidgenössisches Jodlerfest Davos: Hier haben Frauen nichts zu singen

Im traditionellen Jodlerklub sind singende Frauen unerwünscht – der Kameradschaft wegen. Ganz anders bei den Modernisierern des Schweizer Urgesangs: Sie zettelten in Davos eine kleine Revolution an.

Leo Ferraro, SonntagsBlick

Das Publikum in der Englischen Kirche in Davos GR johlt, stampft und lacht. Die Formation Wildenstein aus Bubendorf BL singt «De Muni Jodel» (Text siehe unten). Es geht um einen liebestollen Muni, der auf der Alp eine Kuh verführt. Die Besetzung: fünf Jodler, eine Treichel, ein Alphorn – und eine Dosenkuh. Der Jodelklub Bülach bringt für den «Siloballe-Blues» eine ganze Bluesband mit, das Bündner Alphornduo Capricorn lässt sich von einem Klavier begleiten. Das ist das moderne Gesicht des Eidgenössischen Jodlerfests.

 

Ganz anders der Jodlerklub Reutenen-Zäziwil aus dem Emmental: Mit dem traditionellen Jodellied «Mi Boum» besingen die Männer, was Jodler schon immer gepriesen haben – Bergwelt, Natur, Heimat. «Bei uns wird das auch so bleiben», sagt Präsident Jürg Herrmann (50).

 

Schulter an Schulter stehen die Männer im Halbkreis und singen. Zusammenstehen, aufeinander hören, einander spüren. «Wir würden nie ein traditionelles Jodellied mit modernem Kram verhunzen», so Herrmann. «Wir fühlen uns der Tradition und dem Brauchtum verpflichtet. Wir wollen den Jodel so wiedergeben, wie ihn der Komponist in seinem Herzen empfunden hat.» Frauen haben bei den traditionellen Jodlern aus dem Emmental nichts zu singen. Der Kameradschaft wegen, wie sie sagen.

 

Egal, ob traditionell oder experimentierfreudig: Jodeln liegt im Trend. Insgesamt fast 100'000 Besucher kamen ans 29. Eidgenössische Jodlerfest nach Davos. Erstmals sind dabei, ausser Konkurrenz, auch freie Vorträge zugelassen. Eine kleine Revolution.

 

Bisher war am Jodlerfest alles verpönt, was nicht dem über 100-jährigen Reglement entsprach. Noch immer dürfen ausser dem Schwyzerörgeli keine Instrumente die Wettbewerbsvorträge begleiten, Experimente aller Art sind tabu. Erstmals aber hatten die Experimentellen ihre eigene Plattform, mit Vorträgen während des ganzen Samstags.

 

Die vorsichtige Öffnung hat auch mit der Verbandsspitze zu tun. Mit der Bündnerin Karin Niederberger (44) steht erstmals eine Frau an der Spitze des bisher männerdominierten Verbands. Sie hat keine Berührungsängste, wenn es um Innovationen geht.

 

«Ziel unseres Verbands ist, das Jodelbrauchtum zu erhalten», sagt sie. «Dazu braucht es beides: das traditionelle Jodeln wie auch Innovation und Experimentierfreudigkeit.» Es sei ein lang gehegter Wunsch der Basis, das musikalische Spektrum erweitern zu können – vor allem bei kleineren Formationen.

 

«Auch volkstümliche Jodelschlager, wie Melanie Oesch sie macht, sollen in unserer Jodlerfamilie ihren Platz haben», sagt Niederberger. «Die Leute mögen das, vor allem Junge.»

 

Tatsächlich kennen die Jodler kaum Nachwuchsprobleme. 25 Jugendformationen sind in Davos vertreten. Beim letzten Eidgenössischen in Interlaken 2011 waren erst 18 Nachwuchs-Chöre am Start.

 

«Wir dürfen nicht stehen bleiben»

Claudia Mora von der Fachkommission Nachwuchs im Zentralvorstand: «Die Jugendlichen kommen teilweise aus Familientradition oder weil sie es einfach cool finden und Vorbilder wie Melanie Oesch haben.»

Jodellager für Jugendliche seien jeweils lang im Voraus ausgebucht.

Mora ist ebenfalls offen für eine Weiterentwicklung der Jodelkultur. «Wir versuchen auch in der Nachwuchsarbeit Tradition und Moderne zu verbinden», sagt sie. «Es ist wichtig, dass die Jugendlichen lernen, das Traditionelle zu erhalten, aber auch offen sein können für Neues. Wir dürfen nicht stehen bleiben.»

Der Grundgedanke der Jodelkultur bleibe dabei derselbe. Mora ist überzeugt: «Die Innovationen, die wir in Davos erstmals ausprobieren, werden irgendwann an jedem Jodlerfest selbstverständlich sein. Dafür wird es aber zehn bis 15 Jahre brauchen.»

Dann werden möglicherweise sogar mehr Frauen bei den Traditionalisten jodeln. Noch immer sind 40 bis 60 Prozent der Chöre reine Männergruppen.

Die Emmentaler Traditionalisten sagen, sie hätten bisher noch keine Anfrage von einer Frau erhalten, die mitsingen wollte.

Immerhin gibt ihnen eine Frau den Takt vor – sie haben eine Dirigentin.

 

 

Mi Boum
Von Theres Aeberhard-Häusler

Bi üs da steit grad obem Huus ä prachtig schöni Linde.
Gärn hätti gwüsst wi alt si isch, hätts möge usefinde.
U hani mängisch Sorge gha de bini zuere gange.
Äs isch mir gsi si los mir zu u d’Sorge si de gange.
U d’Sorge die si gange.

De Muni Jodel
Von Peter Pius Möckli

De Muni het em Chuli zum Geburtstag öppis geh
Es ganzes Büscheli Heu, doch sie het gseit: Ich wetti meh!
De Muni het zum Chuli gseit ich cho doch nüt defür
Ich het dir öppis tüürers kauft, doch leider bini Stier


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Erstellt: 06.07.2014
Geändert: 06.07.2014
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