1. August - "Wenn etwas gratis ist...": E-Mail aus Berlin

Auch nach der Ära Borer ist der 1. August in Berlin ein gesellschaftliches Ereignis. Es gab Raclette und Fendant für alle und ein unter der Hitze leidendes Matterhorn. Ein "Heimweh-Worber" schreibt ein Mail in die Heimat.

Christian Langheld, Berlin
Zur Erklärung vorweg: nach vielen schönen Jahren in Worb verschlug es uns vor neun Monaten aus beruflichen Gründen nach Berlin. Aus aktuellem Anlass hier nun ein kleines Lebenszeichen aus dem Norden: Heute, am 1. August, führte mich meine Mittagspause nicht ganz unabsichtlich zur Ecke Unter den Linden/Friedrichstrasse, quasi zum Nabel Berlins. Auf dem Bürgersteig kündeten schon unübersehbare rote Aufkleber „Hier beginnt der Feiertag“ vom grossen Ereignis. Dazu heftiges Kuhglockengeläut und über allem der betörende Duft von schmelzendem Raclettekäse! Über allem heisst hier: über den Massen. Wenn nämlich irgendwo etwas los ist und das obendrein noch gratis, ist der Berliner (und die Berlinerin natürlich mit ihm) pünktlichst zur Stelle – und das sehr zahlreich. Kein Wunder bei über dreieinhalb Millionen Einwohnern. (Es kamen aber dann doch nicht alle!)

Berliner, Schweizer, Touristen wetteiferten zumeist friedlich um Fendant, Raclette, Äpfel, Mützen oder Käsehäppchen. Nie jedoch stockte der Nachschub zur Speisung der 10000. Die wackeren Walliser verloren nicht ein einziges Mal die Ruhe.

Die Sonne würdigte den Feiertag auf ihre Weise: Solide 32 Grad Celsius brannten vom blauen Himmel auf die festlich gestimmte Menge hernieder, der daraufhin auch die Antwort auf die hintersinnige Preisfrage „Soll der Schweiztag ein bundesweiter Feiertag werden?“ leicht zu fallen schien. Nur dem armen Matterhorn, dem Prachtstück der Veranstaltung, behagte die viele Sonne nicht. Als es dann auch noch zahlreiche Hitzschlaggefährdete nach hautnahem Kontakt mit dem eisigen Kunstwerk verlangte, suchte es in einem breiten Rinnsal das Weite.

Nur Wilhelm Tell, am „Haus der Schweiz“ auf der anderen Strassenseite, sah, ohne eine Miene zu verziehen, auf das quirlige Treiben zu seinen Füssen herab, wie er das nun schon seit 66 Jahren tut.

Während ich dies hier zu Papier bringe, ist gerade der Fendant geleert, die Raclette aufgegessen, der letzte Apfel verteilt. Aber mancher Besucher wird sicher noch über die Worte des Walliser Nationalrats sinnieren: „Berlin ist eine Reise wert und das Wallis sowieso.“ Sehr gut, dachte ich mir und hoffte im stillen, dass der Kanton Bern den nächsten Schweiztag in Berlin ausrichten möge!

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Erstellt: 02.08.2002
Geändert: 02.08.2002
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