Zäziwil - Emmentaler Handweberei ist bald Geschichte
Die Emmentaler Handweberei schliesst auf Ende Jahr ihre Türen. Nach vielen Jahrzehnten zieht sich Chefin Alice Augustin zurück, freiwillig, wie sie betont.
Die Vorhänge an den Fenstern in der Stube sind handgewebt. Die Sitzkissen auch. Beides hat Alice Augustin vor etwa 40 Jahren selber gewebt. Und noch viel mehr. Aber Ende Jahr will sie die «Wäbstube» und den Laden in Zäziwil schliessen. «Es ist kein Müssen. Ich will es so», sagt die Handweberin, die im Februar 64-jährig und damit AHV-Bezügerin wird.
Ende Dezember wird sie den Namen Emmentaler Handweberei aus dem Handelsregister löschen lassen. Damit ist das Geschäft nach 73 Jahren nur noch Geschichte. Alice Augustin will nach vorne schauen. Sie freut sich, Zeit zu haben, um Freundschaften zu pflegen, um reisen und wandern zu können. «Oder einfach die Ruhe zu geniessen», sagt sie, die jahrelang beim Klang des Webstuhls glücklich war.
Trost gefunden hat sie bei diesem lauten Aufeinanderschlagen der Holzteile auch nach dem Tod ihres Ehemannes Marcel Augustin, der 1993 starb. Beim Rhythmus des Pedalens und des Schiffchens, das durch den Zettel sauste, dem Wachsen der gemusterten Stoffbahn zuzusehen, gab ihr die Gewissheit, dass das Leben weitergeht. Über 20 Jahre hat Alice das Geschäft als Witwe weitergeführt. Aber den nächsten Lebensabschnitt will sie anders, neu gestalten. «Wie weiter, das wird mir gezeigt», ist die gläubige Christin überzeugt.
Keine Nachfolge
Die Handweberei hat ihre Hochblüte in den Siebzigerjahren erlebt, in der Schweiz und im Emmental. Jetzt wird bestenfalls noch in sozialen Institutionen gewoben, etwa im Haus St. Martin in Oberthal, wo Alice Augustin auch ausgeholfen hat.
Sie erzählt, wie die Emmentaler Handweberei in diesen Jahren zahlreiche Bauernstuben und Restaurants mit Tischtüchern, Vorhängen und Sitzkissen ausstatten konnte. «Einmal hat sogar eine Boutique in New York 30 Meter Stoff bei uns bestellt», erinnert sich die Weberin. Etwas Wehmut schwingt in ihrer Stimme mit. Aber nur kurz. Sie erzählt, dass an diesem Handwerk immer noch Interesse bestehe, was man ja auch an der Zäziwiler Brächete sehen könne, die jedes Jahr zahlreiche Besucher anzieht.
«Die Brächete haben mein Mann und ich vor 30 Jahren lanciert», sagt sie. Nach seinem Tod hat Alice Augustin die Organisation der Gemeinde überlassen und sich ausschliesslich dem Geschäft gewidmet. Nachfolger habe sie gar nicht erst gesucht, denn: «Es gibt praktisch keine Handweber mehr.»
Weihnachts-Schlussverkauf
In Gestellen liegen Stapel von Tischtüchern, Sets, Deckchen, Küchenwäsche und Rollen mit Stoff. Alles ist in stunden-, tage- und wochenlanger Arbeit am Webstuhl entstanden. Diese Waren wird Alice Augustin an einem Weihnachts-Schlussverkauf feil bieten. «Ich hoffe, dass die Sachen Abnehmer finden.» Und sonst? «Nun, ich wohne ja hier im Haus und kann mir Zeit lassen», sagt sie, hofft, dass sich auch für Webstühle und Zubehör Interessenten finden, will sich aber nicht stressen. «Ich werde ja nun endlich Zeit haben.»
Ob sie das Klappern des Webstuhls nicht vermissen wird, das Sausen des Schiffchens, das rhytmische Pedalen? Die Stoffbahnen, die dabei wachsen? «Ich glaube nicht. Für mich stimmt es, jetzt aufzuhören. Das Aufhören ist kein Müssen.»
[i] Emmentaler Handweberei. Am Eichiweg 27, Zäziwil. Tel. 031 711 04 08. Vom 24. bis 29. November täglich ab 10 Uhr offen. Oder auf Voranmeldung.