Worb/Bolligen - Wenn Angehörige vor einem nackten Grab stehen

Jeweils im Januar werden auf vielen Friedhöfen alte Gräber aufgehoben.

Martin Leutenegger / Der Bund

Als Familie Hubschmied (Name geändert) auf dem Friedhof Worb das gemeinsame Grab ihrer Angehörigen besuchen wollte, stand sie buchstäblich «vor dem Nichts»: Die letzte Ruhestätte der früh verstorbenen Schwester, der erst vor wenigen Jahren die Urne mit der Asche des Vaters beigegeben worden war, war aufgehoben worden. Die Hubschmieds hatten von dieser Aufhebung nichts erfahren. Mitglieder der Familie begaben sich in der Folge auf die Gemeindeverwaltung und sorgten dort für unschöne Szenen. Mit dem Argument, die Grabaufhebung sei im Amtsblatt und auch anderswo publiziert worden, mochten sich die Angehörigen nicht zufriedengeben.


Wer liest den Anzeiger?

Laute Töne gab es auch in der Gemeinde Bolligen. Das Grab des Vaters und Grossvaters von Familie Blank (Name geändert) war eines Tages einfach nicht mehr da, der Grabstein entfernt und geschreddert. Auch hier lautete die Antwort der Gemeinde, die Publikation der Grabaufhebung sei frühzeitig erfolgt und alles sei mit rechten Dingen zugegangen. Familie Blank aber teilte diese Ansicht nicht: Da sie das Grab regelmässig gepflegt habe und nie umgezogen sei, wäre in ihren Augen eine persönliche Information das Mindeste gewesen. Das «Amtsblatt des Kantons Bern» lese schliesslich niemand und den Anzeiger erhielten die Angehörigen - da in einer anderen Gemeinde wohnhaft - ohnehin nicht zu Gesicht.

Eine Umfrage zeigt, dass die Praxis unterschiedlich gehandhabt wird. In der Regel scheinen sich die Friedhofverwaltungen - erstaunlicherweise gerade in kleinen Gemeinden - darauf zu beschränken, die Aufhebung eines Grabes im offiziellen Teil des Lokalanzeigers anzukündigen. Allenfalls wird beim Grab und/oder beim Friedhofeingang zusätzlich ein Hinweis angebracht. «Die Angehörigen haben dann drei Monate Zeit für die Abräumung», schreibt Hans Kipfer von der Gemeindeverwaltung Worb: «Grabsteine und Grabschmuck werden nach dieser Frist durch die Gemeinde abgeräumt und entsorgt.»


Bern pflegt andere Praxis

Wer das Grab von Angehörigen regelmässig pflegt und eines Tages unvorbereitet vor einem Stück nackter Erde steht, fühlt sich jedoch schockiert und sieht die Würde des oder der Verstorbenen verletzt. Das versteht Walter Glauser gut. Der Bereichsleiter Friedhöfe und Familiengärten der Stadtgärtnerei Bern betont deshalb, dass in Bern in jedem Fall der persönliche Kontakt mit den Angehörigen gesucht wird. Dies beginnt schon damit, dass die Stadtgärtnerei der Sache nachgeht, wenn sie feststellt, dass ein Grab von den Angehörigen während zweier Jahre nicht mehr gepflegt worden ist.

Sechs Monate vor der Aufhebung der Grabfelder im Januar - jährlich werden allein in der Stadt Bern rund 200 Gräber aufgehoben - werden die Angehörigen schriftlich kontaktiert, zusätzlich zur Publikation im Anzeiger und dem Hinweisschild beim Grab. Gleichzeitig wird gefragt, was mit Grabstein, Grabschmuck und eventuell Bepflanzung geschehen soll, denn das Eigentum liege schliesslich bei den Angehörigen. Von den verschickten Briefen, so Glauser, kämen jeweils nur wenige zurück, und in diesen Fällen mache sich die Stadtgärtnerei auf die Suche nach den neuen Adressen. Bloss zwei bis drei Mal pro Jahr komme es vor, dass keine Angehörigen mehr gefunden würden.

Was passiert mit den Überresten?

Eine Frage aber bleibt in jedem Fall: Was passiert nach einer Grabaufhebung mit den Knochen des Grossvaters oder der Asche der Mutter? Bei Sargbestattungen scheint die Praxis schweizweit einheitlich zu sein: Falls das aufgehobene Grab wieder belegt werden soll und nicht gerade eine grosse Friedhofsanierung ansteht, werden die noch vorhandenen Knochenteile im ursprünglichen Grab belassen und mit Erde bedeckt. Eine Wiederbelegung erfolgt zudem frühestens fünf bis zehn Jahre nach der Grabaufhebung. Die Totenruhe bleibt so gesehen also bestehen, und die Angehörigen könnten - wenn sie sich den Platz gut eingeprägt haben - noch Jahrzehnte später an der gleichen Stelle ihrer verstorbenen Angehörigen gedenken.

Asche ins Gemeinschaftsgrab

Anders ist es bei den Urnen. Es gibt Gemeinden wie zum Beispiel Buochs NW, wo nur noch Holzurnen erlaubt sind, die sich von selber im Boden auflösen. In den Gemeinschaftsgräbern der Stadt Bern werden vorwiegend biologisch abbaubare Urnen verwendet. In Bolligen, so Assunta Ramponi von der Gemeindeverwaltung, werden die Urnen - sofern die Angehörigen keinen Anspruch darauf erheben - nach 20 Jahren ausgegraben und die Asche dem Gemeinschaftsgrab beigegeben. Auch in Worb werden die Urnen «später von Fall zu Fall geöffnet und die Asche im Gemeinschaftsgrab beigesetzt».

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Martin Leutenegger / Der Bund
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Erstellt: 04.01.2012
Geändert: 04.01.2012
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