Wichtrach - Warum Freikirchen immer mehr Zulauf haben

Während die Landeskirche laufend Mitglieder verliert, boomen Freikirchen. Wieso entscheiden sich immer mehr Leute dazu, auch beim Glauben einen individuellen Weg zu gehen? Eine Spurensuche beim Christlichen Zentrum Thalgut.

Quentin Schlapbach, Berner Zeitung BZ
Schummriges Licht erfüllt den Saal. Seitlich der Bühne prangt eine schreibtischgrosse israelische Fahne an der Wand. Davor liegt Equipment für ein ganzes Orchester. Überragt wird die Szenerie von einem ampelhohen Holzkreuz. Ohne einen Schatten zu werfen, steht das Gottessymbol da. Und alle der insgesamt 450 Stühle im Saal sind auf das Kreuz ausgerichtet. «Der Glaube an Gott steht bei uns im Zentrum», sagt Markus Hüsler, Leiter des Christlichen Zentrums Thalgut. Eine Aussage, die sich aufgrund der Sitzordnung erahnen lässt.

Jeder Zehnte ist Unternehmer

Seit 50 Jahren gibt es das Christliche Zentrum Thalgut. Das Jubiläum wird dieses Wochenende ausgiebig gefeiert. Und wenn man den Werdegang der Freikirche anschaut, liegt das Feiern nahe. Seit sie 1966 als «Gemeinde entschiedener Christen Thalgut» gegründet wurde, ist die Gemeinschaft laufend gewachsen. Heute zählt sie rund 400 Mitglieder. Jeden Sonntag nehmen mehr als 300 an den Gottesdiensten teil.

Dass die Kirche erfolgreich ist, kann man nicht zuletzt am Gebäude selbst erkennen. Sitzungsräume für Erwachsene, Bandraum und Bar samt Billardtisch für Jugendliche, Spielräume für die Kleinen: alles ist topmodern ausgestattet und grosszügig gehalten. Während die reformierte Landeskirche fast überall sparen und Räume fremdvermieten muss, wird hier kein finanzieller Aufwand gescheut.

Stellt sich die Frage: Wer finanziert das alles? «Der finanzielle Beitrag an die Kirchgemeinde ist für jedermann freiwillig», sagt Hüsler. Zwar gebe es den biblischen Richtwert des Zehnten – also zehn Prozent des Einkommens. Aber schliesslich zahle jeder das, was er vermag. «Es gibt auch welche, die bis zu zwanzig Prozent abgeben», so Hüsler. Viele dieser grosszügigen Geldgeber sind an diesem Donnerstagvorabend anwesend. Ein Unternehmeranlass ist der erste Programmpunkt der viertägigen ­Festivitäten. In Anzügen und Krawatten prosten sich die überwiegend männlichen Gäste mit Mineral und Orangensaft zu.

Auch prominente Besucher, wie SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal oder Ex-EDU-Nationalrat Christian Waber, sind an­wesend. «Wir haben über 40 Mitglieder, die Unternehmer sind», sagt Hüsler.

Die «authentische Lehre»

Über die finanziellen Angelegenheiten der Freikirchgemeinde am besten Bescheid weiss Bernhard Reusser. Der UBS-Kadermann ist Stiftungspräsident des Christlichen Zentrums Thalgut. «Es gibt in der Gesellschaft das Vorurteil, dass Kirche und Wirtschaft ein angespanntes Verhältnis haben. Wir teilen diese Ansicht nicht», sagt Reusser. «Die Letzten werden die Ersten sein» sei schliesslich nur eines von vielen Bibel­zitaten, das es in den richtigen Kontext zu setzen gelte, so ­Reusser.

Für den Erfolg der Freikirchen sieht Reusser vor allem zwei Gründe. Einerseits stehe der Glauben zu jeder Tages- und Uhrzeit im Zentrum. Und das in sämtlichen Gesellschaftsbereichen: Arbeit, Freizeit, Privatleben. Der zweite Grund lässt erahnen, wieso die Freikirche auch so viele Sympathisanten in der Privatwirtschaft hat. Da die Kirche nicht staatlich organisiert sei, gebe es weniger Vorgaben, so Reusser. «Wir können unser Engagement nach den eigenen Inter­essen ausrichten.»

Damit ist auch das finanzielle Engagement gemeint. Die Freikirche finanziert etwa Hilfsprojekte in Bulgarien, Peru oder auf den Philippinen. Neben dem Geld fliessen auch die religiösen Ansichten in die jeweiligen Länder. Markus Hüsler spricht dabei von einer «authentischen Lehre», welche sich auf die Bibel stützt. Hüsler selbst war früher alkoholsüchtig. Seine Ehe wäre fast zerbrochen. Das Christliche Zen­trum Thalgut gab ihm wieder Halt. «Hier fand ich zum meinem Glauben, der mir im Alltag hilft», so Hüsler. Bei der reformierten Landeskirche sei dies nicht mehr der Fall gewesen. Hüsler ist ausgetreten.

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Quentin Schlapbach, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 14.05.2016
Geändert: 17.05.2016
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