Wichtrach - «Die Bilder waren gut gefälscht»
Auch in der Schweiz kursieren gefälschte Gemälde. Eines, ein falscher Akt von Max Pechstein, gelangte nach Wichtrach. Ein Gespräch der Berner Zeitung BZ mit dem Kunstsachverständigen Oliver Class aus Zürich.
Oliver Class: Das ist die ureigenste Pflicht des Auktionshauses, das das Werk vermittelt. Bei einem grossen Auktionshaus erwarte ich genaue Abklärungen.
Wie geht ein Experte bei seinen Abklärungen vor?
Er macht eine naturwissenschaftliche Analyse der Farben und des Materials. Mit der stilkritischen Methode prüft er das Motiv und die Art der Malerei sowie deren Gesamtzusammenhang. Unbedingt erforschen muss er auch die Herkunft.
Max Pechsteins Bild, das in der Galerie Henze & Ketterer in Wichtrach landete, wurde
mithilfe einer Skizze gefälscht. Da ist Stilkritik schwierig.
Nicht unbedingt. Finde ich die Vorlage im Katalog, kann ich nachforschen, ob der Maler das Bild wirklich in Öl gemacht hat.
Kann ein Experte mit Sicherheit erkennen, ob es sich bei einem Gemälde um eine Fälschung handelt?
Eine ganz gute Fälschung ist nicht zu erkennen, eine schlechte auf den ersten Blick. Im Zweifel müssen deshalb Analysen gemacht werden. Wenn beispielsweise ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert mit Industriefarbe gemalt ist, kann etwas nicht stimmen. Zu den jüngsten Fälschungen: Die waren gut gemacht.
Ist ein Auktionshaus verpflichtet, jedes einzelne Gemälde untersuchen zu lassen? Oder reicht es, wenn eine Quelle als zuverlässig eingestuft wird?
Der jüngste Fälschungsskandal beweist, dass gerade wertvolle Objekte genau geprüft werden müssen. Obschon: Fehler können trotzdem passieren. Auch ein Spitzenkunsthistoriker kann sich täuschen.
Das Auktionshaus Lempertz wusste, dass mit den Bildern aus der «Sammlung Jägers» etwas nicht stimmt , aber vertuschte.
Ja, deshalb wird dieser Fall ja nun genau untersucht. Ob die Opfer wirklich nur Opfer waren, wird sich zeigen.
Sparen Auktionshäuser etwa bei den Expertisen?
Das ist gut möglich. Zeit ist Geld. Eine Expertise kann unter Umständen lange dauern, vor allem bei einem Gemälde, dessen Quelle unklar ist. Meiner Meinung nach müssen insbesondere renommierte grosse Auktionshäuser wie Lempertz diese Prüfungen unbedingt durchführen. Sie haben eine Kundschaft, die höchste Ansprüche stellt.
Was kostet eine Expertise?
Eine Echtheitsexpertise kann mehrere Zehntausend Franken kosten.
Nach dem jüngsten Fälschungsskandal in Deutschland reden Fachleute von rund 60 gefälschten Bildern. Wie viele solcher Gemälde sind Ihrer Meinung nach in Umlauf?
Ich bin überzeugt, dass es viele unentdeckte Fälschungen gibt. Beziffern lassen sie sich schlecht. Aber ich schätze, dass die Quote im einstelligen Prozentbereich liegt. Beispielsweise weiss ich, dass von Corot, einem französischen Realisten, etwa 1000 Bilder bekannt sind. Allerdings soll er nur etwa 800 gemalt haben.
Haben Sie selber schon Gemälde als gefälscht erkannt?
Ja. Beispielsweise sollte ich einmal bei einer Familie in Biel ein Bild von Corot schätzen. Es kam mir suspekt vor. Ein Corot-Sachverständiger untersuchte es ebenfalls und stellte fest, dass das Gemälde nicht echt sein konnte. Das kann für die Eigentümer dramatisch sein. In diesem Fall war das Bild seit zwei Generationen im Besitz der Familie.
Sie sagen, viele Fälschungen werden nie entdeckt. Bestimmt gibt es auch gewerbsmässige Fälscher.
Bei meiner Arbeit als Versicherer treffe ich hin und wieder auf Fälle von Fälschungen, die gewerbsmässig betrieben werden.
Wie geht das vor sich?
Jemand bittet darum, dass ein Bild geschätzt wird, das im Lager liegt, sagt, es handle sich um einen echten Raffael oder Rembrandt und liefert Expertisen mit. Diese stellen meist als gefälscht heraus. Dahinter steckt die Absicht, das Gemälde als Sicherheit für einen Bankkredit zu verwenden. Aber solches dringt fast nie an die Öffentlichkeit.
Kunst und Geld sind untrennbar miteinander verbunden.
Auch Prestige. Im Kunsthandel bewegen sich Mitarbeitende, die sich mehr durch einen Adelstitel als durch ihre Ausbildung qualifizieren. Sie dienen als elegante Fassade, sind aber nur selten in der Lage, ein Kunstwerk professionell zu beurteilen.
Kunstmarkt erschüttert
Oliver Class ist Kunstsachverständiger. Der 47-jährige Stuttgarter hat am Anfang seiner Karriere mehrere Jahre beim Berner Auktionshaus Dobiaschowsky gearbeitet. Danach lebte er längere Zeit in Deutschland. Seit 1999 ist er wieder in der Schweiz. Class ist Mitglied des Kaders und Kunstsachverständiger bei der Versicherung Allianz Suisse in Zürich. Dort beurteilt er Sammlungen und schätzt Kunstwerke.
Das Gespräch mit Oliver Class bezieht sich auf die Kunstfälschungen, die seit letztem Jahr nicht nur den deutschen, sondern auch den europäischen und amerikanischen Kunstmarkt zum Erbeben brachten. Plötzlich waren 60 Gemälde bekannter Expressionisten wie Heinrich Campendonk und Max Pechstein aufgetaucht. Die Bilder stammten angeblich aus der Sammlung des verstorbenen Kölner Unternehmers Werner Jägers. Diese Sammlung gab es aber offenbar nie (wir berichteten).
Zwei Enkelinnen von Jägers hatten behauptet, ihr Grossvater habe die Bilder während der Nazizeit auf einem Landgut versteckt, weil expressionistische Bilder während des Nationalsozialismus als «entartet» galten. Die Frauen brachten die Gemälde über das Kölner Auktionshaus Lempertz auf den Markt. Der Ehemann der einen ist der mutmassliche Fälscher. Alle drei befinden sich in Untersuchungshaft. Ein Bild landete auch in der Schweiz. Wolfgang Henze von der Galerie Henze & Ketterer in Wichtrach hatte bei Lempertz den gefälschten «Liegenden Akt mit Katze» von Pechstein ersteigert und für eine Million Franken weiterverkauft.