Walkringen - Irrwege der Gewalt

Ein Thema, wie es aktueller nicht sein könnte: Theater 58 aus Zürich spielte im Rüttihubelbad «Die Gerechten» von Albert Camus. Die Aufständischen der Russischen Revolution zwischen Kampf, Liebe und Tod.

Gertrud Lehmann, Wochen-Zeitung
Wie wird ein Mensch zum Terroristen? Warum muss er im Namen der Gerechtigkeit morden? Warum fühlt er sich dabei unschuldig, ja sieht sich sogar als Helden? Fragen, um die es in diesem Schauspiel zur Zeit der Oktoberrevolution in Russland ging, um die es heute noch geht. Fragen, die vielleicht niemals gelöst werden können.

***

Düster das Bühnenbild, beklemmend der Auftritt der Schauspieler. Keine Kostüme, keine Requisiten, nur die Macht der Worte zieht den Zuschauer in ihren Bann. Kein Abend der netten Zerstreuung, zu ernst ist das Thema. Vier Männer und eine Frau im Untergrund, Terroristen unter sich. Sie sind entschlossen, unter Einsatz von Leib und Leben die Macht des Zarenregimes zu brechen. Zu gross sei die Not der Armen, nur Gewalt könne Befreiung und damit Gerechtigkeit bringen. Darum wird Janek, der Dichter, der allem Schönen und besonders der Bomben bastelnden Dora zugetan ist, einen Sprengkörper in den Wagen des Grossfürsten werfen.

***

Doch er kehrt unverrichteter Dinge zurück, es waren Kinder im Wagen. «Ich sah ihre unschuldigen Augen, ich brachte es nicht übers Herz», beichtet er und rechtfertigt sich: «ich kämpfe für die Gerechtigkeit, ich bin kein Mörder». Die Genossen halten ihm vor, die Revolution werde nur ohne Sentimentalität siegen. Um zu beweisen, dass er kein Feigling ist, soll er das Attentat bei nächster Gelegenheit vollenden. Er nimmt Abschied von Dora: «Leb wohl, Russland wird schön sein.» Sie fühlt seinen Zwiespalt und ermutigt ihn: «Wir gehören nicht auf diese Welt, wir sind Gerechte.» Doch der Zweifel bleibt: «Ich weiss jetzt, dass im Hass kein Glück liegt», sagt Janek. Aber Revolutionäre hätten kein Recht auf Glück, auf Liebe, das wäre Selbstsucht im Angesicht der Gerechtigkeit, im Angesicht des Elends des geknechteten Volkes.

Also wird Janek, der Poet, zum Mörder wider Willen. Im Gefängnis wartet er auf das eigene Todesurteil. Er zeigt keine Reue: «Ich warf die Bombe auf die Tyrannei, nicht auf den Menschen.» Ein Gnadengesuch lehnt er ab. Im Namen der Gerechtigkeit will er den Preis für seine Tat bezahlen: «Nur wenn ich nicht sterben würde, wäre ich ein Mörder.» War es nun Mord, war es ein Akt der Gerechtigkeit, und heiligt der Zweck in jedem Fall die Mittel? Handeln die Attentäter unserer Tage nicht auch im Namen «ihrer» Gerechtigkeit?

***

Zwischen den Akten wurden Porträts von gewaltlosen Freiheitskämpfern an die Wand projeziert: Mahathma Gandhi, Martin Luther King. Auch Aussagen von Albert Camus, dem 1960 verstorbenen Autor, waren zu lesen: «Es ist eine ruhmlose, undankbare Aufgabe, sich zwischen Kämpfende zu stellen» und «Es gibt keine Freiheit ohne gegenseitiges Verständnis!»

www.walkringen.ch
www.wochen-zeitung.ch

Autor:in
Gertrud Lehmann, Wochen-Zeitung
Fehler gefunden?
Statistik

Erstellt: 07.11.2002
Geändert: 07.11.2002
Klicks heute:
Klicks total: