Walkringen - Einen kapitalen Bock geschossen

Sie sind ein eingespieltes Team: Daniela Jost und ihre Kollegen gehen seit Jahren zusammen auf die Jagd. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Eine Reportage.

Laura Fehlmann / Berner Zeitung BZ

Fred Schlup wartet mit einer Lampe, als Daniela Jost aus ihrem Wagen steigt. Die beiden Jäger treffen sich in einem Wald ob Walkringen. Es ist kurz nach 4 Uhr und stockdunkel. Mit geschultertem Gewehr begeben sich Schlup und Jost zu ihren Ansitzen und wünschen sich «Jägersgfehl» (siehe unten). Daniela Jost findet den Weg zu ihrem Beobachtungsposten ohne Licht. Unterwegs erzählt sie leise, dass sie von dort aus oft einen Rehbock beobachtet habe. In der Hoffnung, dass das Tier auch heute auf die Waldwiese komme, setzen wir uns in einer Art Kanzel am Waldrand auf Dreibeine. Das Gewehr steht griffbereit und gesichert vor der Jägerin. Es ist 4.30 Uhr. Drei Stunden soll dieser Ansitz dauern. Ob der Bock kommt?

 

Bald kriecht die Kühle die Hosenbeine hoch. Daniela Josts geflüsterte Geschichten lassen aber keine Langeweile aufkommen. Sie erzählt vom kapitalen Bock, den sie letzte Woche erlegt hat. Schildert, wie er sich auf der Treibjagd vor den Hunden aus dem Dickicht schleichen wollte und dabei genau auf die Jägerin zugezogen ist. Das kostete ihn das Leben. Ist das Jägerlatein? Die 47-Jährige kennt fantastische Geschichten von Rehen, Wildschweinen und Füchsen, die sie in den letzten 27 Jahren geschossen hat. Oder von Tieren, die oft schlauer waren als die Jägerin und überlebten. «Das Tier hat eben eine echte Chance», so Jost.

 

Vergebliches Warten

 

Kurz vor 7 Uhr gibt ein erster Vogel verschlafen den Ton an. Es tagt. Die dunkle Waldwiese färbt sich zuerst hell und dann grün. Kein Bock erscheint. Im Wald ertönt ein hohes, heiseres Husten. Die Jägerin kann nicht sagen, ob von einem Reh oder einem Fuchs, und ergreift das Gewehr. Dann suchen wir mit dem Feldstecher die Waldränder ab. Nichts. Ob der Bock etwas geahnt hat? Auf dem Rückweg zu den Autos begegnet uns ein Fuchs. Auch ein Reh ist zu sehen. Es ist aber zu weit von der Jägerin entfernt, um einen sicheren Schuss anzubringen. Zudem grast das Tier näher als 100 Meter von einem Bauernhaus – zu nah, um es schiessen zu dürfen.

 

Ein Kindheitstraum

 

Daniela Jost hat die ruhigen Morgenstunden und den malerischen Sonnenaufgang genossen. «Es kommt sehr häufig vor, dass man auf der Jagd kein Tier erlegen kann. Das ist ganz normal», sagt sie. Es geht ihr nicht einfach darum, Tiere zu töten. Vielmehr geniesst sie das Einssein mit der Natur, die Ruhe und das Beobachten der Tiere. Die Jagd hat sie schon als ganz junges Mädchen fasziniert. «Ich war etwa 13 Jahre alt, als ich erstmals dabei war und wusste: Das will ich auch.» Jost betont, dass das Jagen eine faire Art des Fleischgewinnens sei. «Das Tier hat weniger Stress als in einem Schlachthof.» Den Todesschuss sieht sie sachlich: «Das Tier leidet im Normalfall nicht.» Als Sekretärin des Berner Jagdverbandes ist Jost eine gute Schützin und weiss Bescheid in Rechts- und Fachfragen bezüglich Jagd. Sie arbeitet beim Bundesamt für Umwelt.

 

Auf zur Treibjagd

 

Beim Parkplatz sind mittlerweile nebst Fred Schlup noch zwei andere Jäger eingetroffen: Fritz Zurbrügg aus Kandergrund, heute für das Mittagessen zuständig, und der Berner Erich Hug. Er trägt einen Jägerhut mit einem Tannenzweig und strahlt. Neben ihm liegt ein erlegter Rehbock. Daniela Jost schüttelt Hug die Hand und gratuliert ihm herzlich zu seinem Jagdglück. Er nimmt das Tier aus und hängt es zum Ausbluten auf. Nach einem Morgenkaffee gehts auf die Treibjagd. Die Jäger durchkämmen mit ihren Hunden einen Teil des Waldes. Vergeblich. Erst Stunden später auf dem Parkplatz zeigt sich überraschend eine Rehgeiss. Sie beäugt Hunde und Jäger. Aber da sind die Gewehre bereits versorgt. Die Jäger lachen.

Jägersprache

Es gibt viele Ausdrücke, die nur Jäger verstehen. Beispielsweise bezeichnen sie das Maul der Rehe als Äser. Ist das Tier tot, legen Jäger einen Bruch in den Äser, einen Tannenzweig als letzte Mahlzeit. Ein Ansitz ist entweder ein Hochsitz, eine ebenerdige Kanzel am Waldrand oder sonst ein geeigneter Platz am Waldrand.

Treibjagd nennt man in der Schweiz das Durchsuchen von Feld- und Waldabschnitten mit Hunden. Diese scheuchen für die Jäger das Wild in ihren Ruheplätzen auf. Auf der Pirsch begehen Jäger vorsichtig und leise das zu bejagende Gebiet. Sie schleichen sich so an die Tiere heran.

Mit Weidmannsheil oder, wie die Berner sagen, Jägersgfehl wünschen Jäger einander Jagdglück.

[i] Die Berner Zeitung BZ geht auf Pirsch nach Geschichten zur Jagd. Vorher publiziert: «Jäger streifen wieder durch die Wälder» (10. 9.); «281 Rothirsche sind zum Abschuss frei» (14. 9.); «Schädlich, unzeitgemäss, grausam» (16. 9.); «Diese Tiere leben und sterben würdig» (20. 9.); «Der Lehrer büffelt für sein Jagdpatent» (24. 9.); «Jäger mit Supernase und Schlappohren» (27. 9.); «Die Jäger haben gerne Spiegel» (30. 9.); «Mehr als ein Gewehr: Was Jäger mit sich tragen» (5. 10.); «Auf der Suche nach dem verletzten Reh» (7. 10.)

Alle Episoden der Serie zum Nachlesen: http://aufderjagd.bernerzeitung.ch


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Erstellt: 10.10.2011
Geändert: 10.10.2011
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