Walkringen - Die Rückkehr ins Paradies

Als 1945 die ersten Atombomben auf Japan fielen, erreichte ein Zug mit 350 hollädischen Kindern die Schweiz. Der damals zehnjährige Ferdinand van der Werff kam nach Walkringen zur Pfarrersfamilie Hess.

Kathrin Schneider / Wochen-Zeitung
Vor einigen Jahren kam ein Holländer auf die Gemeindeverwaltung, um sich ein Buch über Walkringen zu kaufen. Auf Nachfrage erzählte er von seinem Aufenthalt in Walkringen und seinen Erinnerungen an «die Zeit im Paradies». Berührt von seinen Schilderungen organisierte die Kulturgruppe Walkringen nun einen Abend, an dem der heute 74-Jährige aus seinem Leben erzählen sollte. Das Publikum im «Sternen» wartete gespannt auf seine Erlebnisse in Walkringen, waren doch viele ältere Einwohner anwesend und hofften auf gemeinsame Erinnerungen.

Erschütternde Kriegsbilder

Leider waren van der Werffs Erklärungen schwer verständlich, da er sehr schnell und gebrochen deutsch erzählte. Umso eindrücklicher wirkte der von ihm zusammengestellte Film, der die Jahre von 1935 bis 1945 in Holland dokumentierte. Der Hunger und die Hoffnungslosigkeit unter der deutschen Besatzung wurden mit knappen deutschen Untertiteln kommentiert. Ferdinand van der Werff wuchs in Amsterdam am Rand des jüdischen Viertels auf. Als Christ besuchte er die jüdische Schule vor Ort. Nach den Deportationen sei er der einzige Verbleibende gewesen. Er hätte weder Mitschüler noch Nachbarn je wieder gesehen. In den letzten Monaten vor Kriegsende sei das Elend am grössten gewesen, weil die ganze Gegend isoliert und vom Nachschub abgeschnitten gewesen sei. Hunger, Kälte, Krankheiten hätten alle auf die Strasse getrieben, wo man nur noch ums Überleben kämpfte. Er selber sei ein wilder «Gassenbub» gewesen, der «von all dem Elend ungehorsam und rebellisch» geworden sei.

Fahrt in den Frieden

Leider vermisste man im Film Informationen über Werffs Aufenthalt in Walkringen. Ausser einigen Bildern seiner «neuen» Familie, Pfarrer Otto Hess, seiner Frau Olga und den Pflegebrüdern Walter und Daniel, erfuhr man wenig über Werffs Aufenthalt. In einer Broschüre zu seinem Film konnte man aber interessante Details zu seiner Reise und der Ankunft in Walkringen nachlesen. Wie er zum Beispiel gar nicht in die Schweiz wollte, da man dort das verhasste Deutsch sprechen müsste. Oder wie er lernte, das Essen nicht mehr zu «hamstern». Wie er neue Kleider bekam. Oder wie er seine erste Banane mit der Schale essen wollte, weil diese Frucht für ihn neu war.

Sein neuer «Vati» lehrte ihn den Unterschied «zwischen richtig und falsch», was für ihn nach seinen Erlebnissen als Strassenjunge Neuland war. Er wanderte durch die Umgebung von Walkringen und musste nicht mehr Angst haben vor explodierenden Minen und Bomben. «Die ganze Welt stand in der Mitte der Blüte in Walkringen», so seine Beschreibung in der Broschüre.

Ferdinand van der Werff erinnert sich nicht mehr, wie lang sein Aufenthalt in Walkringen dauerte. «Sicher länger als die damals üblichen drei Monate», glaubt er.

Später kehrte er in die Heimat zurück und wurde wie sein Vater Seemann. Die Schweiz und insbesondere Walkringen sei ihm aber lieb und teuer. Deshalb vermachte er auch seine Familienbibel am 18. Juni der Kirchgemeinde Walkringen. Ausserdem übergab er ein selbst gebautes Flaschenschiff mit dem Modell des Dampfschiffs «Blümlisalp», dem schönsten Schiff, das er als Seemann je gesehen habe.

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Kathrin Schneider / Wochen-Zeitung
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Erstellt: 25.06.2009
Geändert: 01.07.2009
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