Wahlkreisreform: Schwarzer Peter für Muri und Worb

Die Wahlkreisreformen von 2002 und 2008 haben die Zahl der Grossratsmandate einzelner Gemeinden durcheinandergewirbelt: Muri und Worb sind die grossen Verlierer, Münsingen hat am meisten profitiert.

Adrian Schmid, Der Bund
In Worb macht sich Ernüchterung breit: Von den 5 Grossräten, die nach den Wahlen im Jahr 2002 ins Kantonsparlament entsandt wurden, ist im letzte Woche neu konstituierten Grossen Rat nur noch einer übrig geblieben. Gemeindepräsident Niklaus Gfeller (EVP) ist unterdessen der einzige Grossrat aus Worb. Er macht die Wahlkreisreform für die Verluste verantwortlich. «Worb ist nun am Rand eines riesengrossen Wahlkreises», sagt er. Es handelt sich um den Wahlkreis Mittelland-Nord, der halbmondförmig um die Stadt Bern führt - von Neuenegg über Münchenbuchsee bis nach Fraubrunnen sowie Muri und Worb. Im Verlaufe der letzten zwölf Jahre haben aber noch weitere Gemeinden aus diesem Kreis Sitze verloren. Ittigen, Muri oder Ostermundigen kämpfen mit dem gleichen Problem wie Worb. Auf der anderen Seite haben Gemeinden wie Münsingen, Wohlen, Vechigen die Zahl ihrer Mandate ausbauen können.

Reformitis in den 2000er-Jahren

Bei den Wahlen im Jahr 2002 gab es im Kanton Bern noch 27 Wahlkreise. Die Grossräte wurden nach Amtsbezirken gewählt, wobei das Amt Bern in Bern-Stadt und Bern-Land aufgeteilt war. Im gleichen Jahr hiessen die Stimmberechtigten die erste Wahlkreisreform gut. Der Grosse Rat wurde von 200 auf 160 Mitglieder reduziert, und die Zahl der Wahlkreise sank auf 8. Die Änderungen kamen bei den Grossratswahlen von 2006 zur Anwendung. Bei den folgenden Wahlen im Jahr 2010 sah es aber schon wieder anders aus, weil 2008 eine zweite Wahlkreisreform vom Stimmvolk angenommen worden war. Die Wahlkreise wurden dabei an die neuen Verwaltungskreise angepasst. Der grosse Verwaltungskreis Bern-Mittelland wurde in die Wahlkreise Nord, Süd und Stadt Bern unterteilt. Mehrere andere Varianten waren zuvor verworfen worden. Verschiebungen gab es auch im Oberaargau und im Emmental. Bei den letzten Grossratswahlen Ende März kam zum zweiten Mal nach 2010 dieses Schema zur Anwendung.

Die Reformen der 2000er-Jahre führten dazu, dass mehrere Gemeinden immer wieder in anderen Wahlkreisen lagen. Worb war zuerst im Amt Konolfingen, dann im Wahlkreis Emmental und schliesslich in Mittelland-Nord. Muri wechselte von Bern-Land ins Mittelland und dann nach Mittelland-Nord. Münchenbuchsee kam vom Amt Fraubrunnen in den Wahlkreis Oberaargau und schliesslich ebenfalls nach Mittelland-Nord. Im Gegensatz zu Worb und Muri überstand Münchenbuchsee die ständigen Wechsel relativ unbeschadet - was auch für Köniz, Zollikofen, Belp oder Stettlen gilt. Im Falle von Münchenbuchsee führt dies der örtliche SVP-Grossrat Peter Brand darauf zurück, dass auch die Gemeinden aus der Umgebung mitgewechselt haben. «Das Wählersubstrat ist gleich geblieben.» Zudem habe auch die enge Zusammenarbeit mit Zollikofen geholfen.

Worbs Schuss ins eigene Bein

Im Fall von Worb gab es jedoch einen Bruch mit den Nachbargemeinden. Münsingen, Rubigen oder Grosshöchstetten, die einst wie Worb zum Amt Konolfingen gehört hatten, liegen nun im Wahlkreis Mittelland-Süd. Bei der zweiten Wahlkreisreform wollte der Regierungsrat auch Worb dort einteilen. Doch der Gemeinderat sprach sich in der Vernehmlassung für Mittelland-Nord aus. «Das war ein Fehlentscheid», sagt der Worber SVP-Präsident Martin Wälti. Seine Partei wehrte sich damals als praktisch einzige Worber Kraft gegen die Umteilung. Der Status der Gemeinde wurde sogar in der Grossratskommission beraten. Am Ende war der Widerstand aber chancenlos.

Mittlerweile steht die SVP auf Gemeindeebene mit ihrer Haltung nicht mehr alleine da. FDP-Präsidentin Lenka Kölliker bezeichnet die Wahlkreiseinteilung als «unglücklich». «Eine Umteilung wäre für uns vorteilhafter», sagt auch SP-Präsidentin Sandra Büchel. Sie ergänzt aber, dass man sich politisch «eben schon in Richtung Worbental orientieren» müsse. Martin Wälti würde «sofort mithelfen», wenn Worbs Wahlkreiszugehörigkeit wieder aufs Tapet gebracht würde.
 
Die treibende Kraft für den Wechsel zu Mittelland-Nord war der damalige Gemeindepräsident und Alt-Grossrat Peter Bernasconi (SP), der auch die zuständige Grossratskommission präsidierte. «Worb war früher mit 5 Grossräten übervertreten», sagt er. Das stimmt. Aufgrund der aktuellen Einwohnerzahl stünden Worb heute rein theoretisch 1,8 Grossratssitze zu (vergleiche Tabelle unten rechts). Bernasconi ist nach wie vor überzeugt, dass Worb im richtigen Wahlkreis ist. «Wir sind eine Agglomerationsgemeinde.» Die Gemeinde orientiere sich bei der Kultur oder beim öffentlichen Verkehr Richtung Bern - und nicht Richtung Emmental. «Wir waren früher im falschen Wahlkreis und auch im falschen Amtsbezirk.»

Muri hofft auf Rücktritte

Wie in Worb dürfte auch in Muri bei den Verlusten von Grossratsmandaten die Geografie eine Rolle spielen. «Wir sind in der südlichsten Ecke des Wahlkreises», sagt Roland Näf (SP), der einzige Grossrat aus Muri. Die Gemeinde befindet sich quasi in der Sandwichposition zwischen den Wahlkreisen Stadt Bern und Mittelland-Süd. «Der Wahlkreis ist nicht ganz optimal», sagt Adrian Kauth, Präsident der Muriger FDP. Es besteht aber Grund zur Hoffnung, dass die FDP-Hochburg künftig wieder besser im Grossen Rat vertreten ist. Bei den Wahlen Ende März belegten Muriger FDP-Politiker gleich die ersten 4 Ersatzplätze, und auch bei der SP stehen 2 Frauen aus Muri im Falle eines Rücktritts in den Startlöchern. Daher ist eine Umteilung in einen anderen Wahlkreis derzeit kein Thema.

Dennoch dürfte mancher Muriger oder Worber Politiker derzeit neidisch nach Münsingen blicken. Die Aaretaler Gemeinde ist die grosse Siegerin der Wahlkreisreform. Ende März schafften es 4 Personen aus Münsingen ins Kantonsparlament. 2002 gabs nur 2 Sitze. Nach dem Rücktritt des ehemaligen Grossratspräsidenten Werner Lüthi (SVP) 2007 stellte Münsingen vorübergehen gar keinen Grossrat. Möglicherweise hat man nun einen Teil der Worber Mandate «erben» können. «Ich finde es toll, dass wir nun 4 Vertreter haben», sagt BDP-Grossrat und Ex-Gemeindepräsident Erich Feller. Er will dies aber nicht überbewerten. Schliesslich seien es nur 4 von 160. Die Einflussnahme sei auch so immer noch «beschränkt».

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Erstellt: 10.06.2014
Geändert: 10.06.2014
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