Vechigen - Vechigen, wie es vor 500 Jahren war
Tagsüber ist Vechigen ein ganz normales Dorf. Abends verwandelt es sich in eine Theaterkulisse: Im Theaterspaziergang «Der Reisläufer» wird die Zeit ins Jahr 1514 zurückgedreht. In die Zeit, als das Dorf seine Kirche weihte und Hexen jagte.
Er sieht eigentlich harmlos aus. Und seine Aufgabe ist doch eine durchaus ehrenwerte: die Menschen zu unterhalten. Aber nachdem der Spielmann mit seinem Gehilfen Famulus in Vechigen angekommen ist, ist es hier vorbei mit der Ruhe. Denn in Tat und Wahrheit sät der Spielmann nichts als Zwietracht im Dorf und kundschaftet aus, was die Bevölkerung bewegt. Sein Auftraggeber: Wilhelm von Diesbach, einer der reichsten Gnädigen Herren Berns und – so könnte man meinen – edler Stifter der Kirche Vechigen.
Vor 500 Jahren wurde die Kirche gebaut. Zum runden Geburtstag organisiert die Kirchgemeinde eine Reihe von Veranstaltungen. Darunter 21 Aufführungen von «Der Reisläufer», einem Theaterspaziergang durch das Dorf. Heute ist Premiere. Verantwortlich für die Produktion zeichnet das Mes-Arts-Theater von Christine Ahlborn, die das Stück schrieb und Regie führt, und von Matthias Zurbrügg, der den Spielmann verkörpert.
Bäcker spielt Bäcker
«Der Reisläufer» spielt im Jahr 1514, kurz bevor der Bischof die Kirche Vechigen weihen wird. Just in diesen Tagen macht im Dorf eine schlechte Nachricht aus dem Herzogtum Mailand die Runde: Simon Rüegsegger, der Sohn des Vechiger Ammanns (Peter Jöhr), sei in der Schlacht bei Novara umgekommen. Er war Reisläufer, Söldner in fremden Diensten. «Das hett ja so müesse cho», ruft eine Frau aus dem Volk wütend. Der Gnädige Herr Wilhelm von Diesbach (Andrin Plattner) fürchtet, dass die Todesnachricht zu einem Aufstand führen könnte – wie ein Jahr zuvor bei der Kirchweih in Köniz. Damals stürmten 300 Mannen nach Bern und liessen ihrer Wut auf die Gnädigen Herren, die am Vermitteln von Reisläufern kräftig verdienten, freien Lauf. Also beauftragt Wilhelm von Diesbach den Spielmann, ein Auge auf die Vechiger zu haben.
An der Hauptprobe spazieren der Spielmann und sein Gehilfe (Michael Enzler) mit einem 60-köpfigen Publikum von der Pfrundscheune zur Kirche, zu Bauernhäusern, zur Bäckerei und hinauf zur Dorflinde. Die Kulisse ist stimmungsvoll, das Teamwork beeindruckend. Das halbe Dorf ist am Schauspiel beteiligt: Die einen spielen mit – der Bäcker (Patrik Hersberger) etwa ist auch im richtigen Leben Bäcker –, die andern halfen bei den Requisiten, regeln den Verkehr oder führen das Theaterbeizli. Einige der 14 Schauspielerinnen und Schauspieler haben zwar wenig Bühnenerfahrung, zeigen dafür umso mehr Engagement. Bis hinunter zu den Füssen: Wer barfuss spielt, tut dies auch bei Nässe und Kälte.
Hexenjagd
Das Schauspiel ist eine Mischung aus Realität und Fiktion. Autorin Christine Ahlborn hat das Stück laufend angepasst und auch für jene eine Rolle geschaffen, die sich erst spät entschieden, mitzuspielen. Herausgekommen ist eine Geschichte, in der die Intriganten immer mehr die Oberhand gewinnen. Statt des Gnädigen Herrn Wilhelm von Diesbach, der an der Reisläuferei mitverdient, wird bald die einfache Frau Verena (Ursula Walther) zur Zielscheibe der Dorfbewohner. Sie sei eine Hexe, heisst es. «Sie muess brönne! Sie muess brönne!» Und ihre Tochter Annekäthi (Rebecca Bühler) gleich mit. Der Ammann würde sie retten – jedoch nur unter gewissen Bedingungen. Davon will Annekäthi nichts wissen. «Lieber verbrönnen i.»
[i] «Der Reisläufer»: vom 10. Juli bis 9. August, jeweils um 19.30 Uhr. Treffpunkt Pfrundscheune Vechigen. Es gibt nur noch wenige Plätze. Anmeldung zwingend erforderlich unter Telefon 031 839 64 09.