Ueli Zürcher: 20 zusätzliche Lebensjahre erhalten
Als er ein Jahr alt war, wurde bei Ueli Zürcher eine unheilbare Erbkrankheit diagnostiziert. Seine damalige Lebenserwartung hat er bereits um Jahrzehnte übertroffen.
Wenn Eltern erfahren, dass ihr Kind an einer unheilbaren Erbkrankheit leidet, sitzt der Schock tief. Dass die Lebenserwartung von Menschen mit der Diagnose Cystische Fibrose damals bei 15 Jahren lag, muss für die Eltern von Ueli Zürcher schwer fassbar gewesen sein. Er selber sagt, er kenne nichts anderes, für ihn sei es «nie ein Problem» gewesen. Er habe hingegen die Aufregung nicht verstanden, als seine Tante eines Tages weinend zu seiner Mutter kam und erzählte, dass bei ihrem Sohn die Krankheit mit dem zähflüssigen Schleim in den Bronchien nun auch diagnostiziert worden sei.
Im Alltag denke er selten an die Krankheit, «aber wenn einer stirbt», und es ihm selber gerade nicht gut gehe, werde ihm das alles wieder bewusst. Schon mehrere Freunde, die er durch Kinder- und Jugendlager für «CFler», wie sich die Betroffenen laut Ueli Zürcher selbst nennen, kennen gelernt hatte, sind gestorben, weil sie vergeblich auf eine Organspende gewartet hatten.
Selbstständigkeit dank Krankheit
Die Cystische Fibrose (siehe Text unten) führt zu chronischem Husten und erschwerter Atmung. Wie hat ihn die Krankheit geprägt? Man müsse diszipliniert sein. Zwar habe er als Kind auch zwischendurch im Staub gespielt, was im Nachhinein wohl eher schädlich gewesen sei. Und als Jugendlicher zum Teil «über die Stränge geschlagen». Aber die Therapie und Einnahme der Medizin verlange von Betroffenen viel Disziplin. Zürcher nimmt täglich über 20 Tabletten und Vitaminpräparate zu sich, macht jeden Morgen und Abend eine 45-minütige Atemphysiotherapie inklusive Inhalation – «dafür sollte man eigentlich noch mehr Zeit verwenden», sagt Zürcher. Hinzu kommen zweimal pro Woche eine Physiotherapie und tägliche Mobilisationsübungen für den Brustkasten. «Die Krankheit hat mich schon seit jeher gelehrt, selbstständig zu sein», sagt Zürcher.
Auch künftig möchte Zürcher möglichst lange selbstständig bleiben, daher geht er mit seiner Energie haushälterisch um. Die Wochenenden nutzt er heute ganz bewusst zur Erholung. Das Unihockey-Training in der vierten Liga sei für ihn ideal: Man spiele ohne Ambitionen und «nicht verbissen», und wenn er ausser Atem gerate, könne er sich vorzeitig auswechseln lassen. Er müsse aufpassen, sich im Unihockey nicht zu sehr zu verausgaben, sonst daure die Erholungszeit länger. Bei Bedarf lasse er auch mal ein Training ausfallen. Die regelmässige Bewegung tue ihm gut, weil sie ihn – genauso wie Gesunde auch – vitalisiere und die Sekrete in seinem Körper mobilisiere. Auch Ärzte empfehlen aus diesem Grund eine regelmässige sportliche Betätigung. Mit einem Freund nimmt er am Samstag im Berner Bremgartenwald an einem Sponsorenlauf für Betroffene teil (siehe Text unten).
Zürcher hat heute eine Stelle als Immobilienbewirtschafter mit einem sehr kurzen Arbeitsweg. Dies hilft ihm, Zeit zu sparen. Zeit, die er für seine Therapien braucht. Ausserdem hat er seit seiner KV-Lehre immer 80 Prozent gearbeitet, «als Kompromiss», wie er sagt, «um nicht zu verschleissen». Auch der Umschwung des Hauses gebe viel zu tun. Bei einem Teil der sogenannten CFler sei es schon anders. Sie seien manchmal durch die Krankheit stärker eingeschränkt und könnten nicht so viel arbeiten wie er und auch noch in Vereinen tätig sein.
«Wir wollten lange keine Kinder»
Seine eineinhalbjährige Tochter Leonie stellt sich neugierig an den Küchentisch und lächelt. Vor sechs Jahren sind er und seine Frau Angela in das Haus ihrer Eltern im Emmental eingezogen und haben geheiratet. «Wir wollten relativ lange keine Kinder», vor allem er habe lange gezögert, obwohl er gesundheitlich über all die Jahre sehr stabil gewesen sei. Es gab dann aber andere Paare in ihrem Bekanntenkreis, die trotz derselben Diagnose «es nicht bereut» hätten, Kinder zu kriegen. Auch dies habe dazu geführt, dass beim Paar der Wunsch nach Nachwuchs entstand. Da die meisten Betroffenen nicht zeugungsfähig sind, mussten Zürcher bei einer Operation Spermien entnommen und die Eizellen seiner Frau künstlich befruchtet werden.
Auf seine Lebenserwartung angesprochen, sagt der heute 35-Jährige, dass er aus seinem Umfeld wisse, dass die «CFler» immer älter würden. Einige seien 60 oder darüber. Es spielten aber so viele Faktoren eine Rolle, dass kein Arzt eine Prognose wage. Sowieso könne man sein Leben nicht auf 20 Jahre hinaus planen. Seine Frau schaut kurz in der Küche vorbei. Sie ist wieder schwanger und erwartet im März das zweite Kind.
[i] Marchethon: Sponsorenlauf für Betroffene von Cystischer Fibrose
Diesen Samstag ab 12.30 Uhr findet im Berner Bremgartenwald der 20. Marchethon-Lauf zugunsten Betroffener der Cystischen Fibrose statt. Der Sponsorenlauf soll die Bevölkerung auf die Krankheit aufmerksam machen, die, anders als zum Beispiel Krebs, wenig bekannt ist. Da sich Sport positiv auf Betroffene der Cystischen Fibrose auswirkt, werden auch viele von ihnen am Lauf teilnehmen. Die Einnahmen kommen laut dem Präsidenten des Organisationskomitees, Erwin Wälti, der Schweizerischen Gesellschaft für Cystische Fibrose zugute. Diese ermöglicht Forschungsprojekte zur Bekämpfung der Krankheit und finanziert Therapien, welche nicht von der Invalidenversicherung und der Krankenkasse gedeckt werden. Andere Marchethons finden beispielsweise auch in Lausanne und in Freiburg statt.
Cystische Fibrose ist die häufigste Erbkrankheit in der Schweiz. In der Schweiz leben etwa 1000 Betroffene. Die unheilbare Krankheit führt dazu, dass der Schleim zähflüssiger als üblich ist und sich um lebenswichtige Organe wie die Lunge ansammelt. Dadurch leiden Betroffene unter Lungenproblemen. Durch Medikamente und Physiotherapie können die Organe so lange wie möglich erhalten werden. In besonders schweren Fällen sind Lungentransplantationen möglich. Durch den medizinischen Fortschritt hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten drei Jahrzehnten von 20 auf heute 40 Jahre verdoppelt.
Informationen und Anmeldung: www.marchethon-bern.ch oder vor Ort: Gymnasium Neufeld, Bremgartenstr. 133, Bern.