Stettlen - Abriss der Fabrik ist möglich

Die Kartonfabrik Deisswil wird vom Denkmalschutz zwar als erhaltenswert eingestuft. Trotzdem könnte der markante Bau notfalls abgerissen werden. Die Gemeindebehörden möchten in der Fabrik wieder Unternehmen ansiedeln.

Sandra Rutschi / Berner Zeitung BZ
Die Kartonfabrik Deisswil ist ein Markenzeichen des Worblentals. Seit Donnerstag stehen die Maschinen im imposanten Gebäude endgültig still. Die Ära des Kartons in Deisswil ist Geschichte. Wie die Fabrik künftig genutzt wird, ist laut dem Stettler Gemeindepräsidenten Lorenz Hess (BDP) noch unklar. Er will eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern der Eigentümerin Mayr-Melnhof Karton AG sowie den Gemeinde- und Kantonsbehörden zusammenstellen, um die Zukunft des Gebäudes zu thematisieren.

«Unser primäres Ziel muss sein, in der Fabrik wieder Arbeitsplätze zu schaffen, sprich einen oder mehrere Unternehmer zu finden», sagt Hess. Entscheiden wird aber die Eigentümerin.

Die Karton Deisswil AG wurde 1876 gegründet und war bis 1990 ein Familienunternehmen. Dann ging das Unternehmen in den Besitz der international tätigen Mayr-Melnhof-Gruppe mit Haupt-sitz in Wien über. Vom Unternehmen war für eine Auskunft niemand zu erreichen. Das Fabrikgebäude ist im kantonalen Bauinventar als erhaltenswert eingestuft. Der älteste Teil des «imposanten Hauptbaus» stamme aus dem Jahr 1918 und besteche durch seine Form und architektonische Einheit, steht im Bauinventar. Insbesondere die 260 Meter lange Front präge den Dorfeingang und das Tal.

Viel Spielraum beim Bauen

Die Einstufung «erhaltenswert» lässt indes im Gegensatz zur höchsten Stufe «schützenswert» sehr viel Spielraum für Bauvorhaben, wie Randi Sigg-Gilstad sagt. «Wenn es unverhältnismässig wäre, ein solches Gebäude zu erhalten, kann es gegebenenfalls auch abgerissen werden», erklärt die Kreisleiterin Bern-Mittelland der kantonalen Denkmalpflege.

Oft sei es der bautechnisch schlechte Zustand von Gebäuden, der einen Erhalt unverhältnismässig mache. «Die Kartonfabrik in Deisswil ist aber in einem recht guten Zustand», sagt Randi Sigg, die vor wenigen Monaten zum letzten Mal vor Ort war. Sie sieht einen anderen Punkt, der den Erhalt des Gebäudes unverhältnismässig machen könnte: Dessen Eignung für eine Umnutzung.

«Lofts wären möglich»

Aus einem leer stehenden Fabrikgebäude können häufig eindrückliche Loft-Wohnungen entstehen. «Im vorderen Teil der Deisswiler Fabrik wäre das sicher attraktiv», sagt Sigg. In die hinteren Räumlichkeiten indes dringe kaum Licht, diese müssten folglich anders genutzt werden. Die Wohnlage wäre günstig, die RBS-Bahnhaltestelle stünde direkt vor der Haustür.

«Lofts bringen aber keine Arbeitsplätze», betont auch Randi Sigg. Eine zweite Möglichkeit für die Fabrik wäre deshalb, junge Unternehmer anzusiedeln, die Räume suchen und eine Firma aufbauen wollen. «Die ehemalige Gurten-Brauerei wird zum Beispiel so genutzt», so Sigg. Eine gewerbliche Nutzung, etwa durch Handwerkerfirmen, wäre denn laut der Fachfrau auch unkomplizierter. «Je ähnlicher die Folgenutzung dem ursprünglichen Zweck ist, desto einfacher und wirtschaftlicher ist diese Lösung umzusetzen.»

Geschichtlich wichtig

Damit tendiert die Denkmalpflege wie der Stettler Gemeindepräsident hin zu einer gewerblichen Nutzung. Die Fabrik steht denn auch in der Industrie- und Gewerbezone – für eine Wohnnutzung müsste das Areal also zuerst umgezont werden. Die Fabrik an sich ist als erhaltenswert eingestuft, steht aber zusätzlich in einer Baugruppe. Dazu gehören nebst dem Hauptbau die beiden Heimatstilvillen des Firmengründers Ulrich Joerg und des späteren Fabrikleiters Hans Winzenried.

Für Änderungen an einer solchen Baugruppe ist die kantonale Denkmalpflege beizuziehen. Die Zusammenarbeit mit den Eigentümern habe bisher gut geklappt, sagt Randi Sigg. Die Einordnung der Fabrik in die Baugruppe zeige, dass die Gesamtanlage bedeutend sei. «Die Fabrik ist industriegeschichtlich wichtig», sagt Sigg. Die Architektur sei dabei bloss ein Aspekt unter vielen.

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Sandra Rutschi / Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 12.04.2010
Geändert: 12.04.2010
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