Region - Der Niedergang der Dorfzentren

Worb ist kein Einzelfall: Viele Ortskerne darben, weil in den Läden Kunden fehlen.

Adrian Schmid, Der Bund
Der Bärenplatz in Worb, gleich neben dem Bahnhof, ist in der Regel menschenleer – ein toter Platz mitten im Dorf. Die Geschäfte im Bärenzentrum klagen über wenig Kundschaft, einige kämpfen ums Überleben. Dem Vernehmen nach harzt es selbst in der Coop-Filiale, der Interdiscount hat seinen Laden im Sommer geschlossen. «Die Situation ist schwierig. Je schlechter es im Coop läuft, desto schlechter läuft es auch bei uns», sagt Tina Reusser, die im Bärenzentrum ein Innendekorationsgeschäft führt. Als die Überbauung vor 15 Jahren eröffnet wurde, war die Euphorie noch gross. Man sprach von einem «Jahrhundertbauwerk», nun werde das Dorf zur Stadt. Von wegen. Und es droht noch mehr Ungemach. Derzeit wird die neue Worber Umfahrungsstrasse gebaut, die im nächsten Jahr eröffnet wird. Das befreit zwar den Ortskern vom Durchgangsverkehr. Die Ladenbesitzer befürchten aber, dass ihnen dadurch noch mehr Kundschaft abhandenkommt. «Die Angst unter den Gewerblern ist gross», sagt Augenarzt Paul Steinmann, dessen Praxis sich am Bärenplatz befindet.

Worb ist kein Einzelfall. Vielerorts in der Schweiz, insbesondere in Gemeinden mit 5000 bis 50 000 Einwohnern, befinden sich die Siedlungskerne im Wandel: Läden verschwinden, das öffentliche Leben ist bedroht. Paul Hasler, Experte beim Netzwerk Altstadt, beobachtet die Entwicklung mit Sorge: «Der emotionale Verlust ist gross, wenn die Ortskerne nur noch als Wohnräume dienen.» Orte der Begegnung gingen verloren. Als Ursache nennt er die gestiegene Mobilität, die das Einkaufsverhalten verändert habe. Hinzu komme, dass die Läden heute viel mehr Fläche benötigten. «Die neuen Ladenformate bringt man in den Ortskernen nicht mehr unter.» Dafür etwa in grossen Shoppingcentern.

Bei der Wiederbelebung der Dorfzentren spielen laut Hasler die Grossverteiler eine wichtige Rolle. «Sie bringen Kundschaft», sagt er. In Worb ist es aber nicht sicher, ob Coop im Bärenzentrum bleibt. «Das vorliegende zukünftige Verkehrskonzept der Gemeinde kann die Entwicklung des jetzigen Standortes massgeblich negativ beeinflussen. Deshalb überprüft Coop mittelfristige alternative Standorte in Worb», sagt Sprecherin Désirée Schmid. Sie betont jedoch, dass Coop zum Bärenzentrum stehe.

Köniz hat es geschafft

In Aarberg hat Coop im Frühjahr ein neues Einkaufszentrum abseits des Altstädtchens eröffnet. Nun versuchen die Gemeindebehörden die Migros davon zu überzeugen, dass sie sich an einem Ort niederlässt, der nahe beim «Stedtli» liegt – um dieses vor dem Niedergang zu bewahren. «Die Gemeinden sind gefordert», sagt Hasler. Sie müssten von sich aus aktiv werden und sich mit den Grossverteilern an einen Tisch setzen. Zudem brauche es eine langfristige Planung. «Die Gemeinden müssen unternehmerisch denken und können sich nicht nur aufs Verwalten beschränken.»

Als gutes Beispiel nennt Hasler Köniz. Dank einer aktiven Liegenschaftspolitik sei es der Gemeinde zusammen mit den Grossverteilern gelungen, das Zentrum zu beleben. Migros und Coop sind nur ein paar Schritte voneinander entfernt. «Das Zentrum von Köniz ist viel attraktiver als vor 20 Jahren», sagt Judith Ackermann, Präsidentin des Gewerbevereins KMU Köniz. Sie sagt aber auch, dass man zu den kleinen Läden Sorge tragen müsse. Diese verlören Kundschaft, nur schon wenn ein paar Parkplätze aufgehoben würden.

In Worb hat sich kürzlich eine Interessengemeinschaft formiert, die den Niedergang des Bärenzentrums stoppen will. Einerseits versucht sie über politische Vorstösse, die Zufahrt zum Areal zu vereinfachen (siehe Text unten). Andererseits laufen Bestrebungen, dem Platz Leben einzuhauchen – mit Veranstaltungen wie einem Markt, Theater oder Open-Air-Kino. «Wenn nichts passiert, verschlechtert sich die Situation noch mehr», sagt IG-Haupt­initiant Paul Steinmann. Doch die Belebung ist alles andere als einfach. Auf dem Areal hat es auch Wohnungen, zum Teil wollen die Besitzer einfach ihre Ruhe haben. So haben Anwohner auch schon die Polizei gerufen, als es während einer Theateraufführung auf dem Bärenplatz aus ihrer Sicht zu laut wurde.

Dorfzentrum Worb

Die Angst vor dem Poller
Der Widerstand gegen das geplante Poller-Regime in Worb erhält neuen Auftrieb.

Poller geben nicht nur in der Stadt Bern zu reden, sondern auch in Worb. Nach der Eröffnung der neuen Umfahrungsstrasse sollen Poller dafür sorgen, dass das Zentrum nicht mehr durchfahren wird. Die geplanten Sperrzeiten von Bern- und Bahnhofstrasse sorgen aber in Gewerbekreisen schon seit längerem für Unmut. Der Gemeinderat hat bislang nicht einlenken wollen. Nun hat die neu gegründete IG Pro Bärenzentrum Worb, die über 40 Mitglieder zählt, innerhalb kurzer Zeit fast 300 Unterschriften für ein Volkspostulat gesammelt. Dieses fordert, dass die Gemeinde mit dem Kanton die Sperrzeiten neu aushandelt.

Schon vor zehn Jahren wurde festgelegt, wann die Bern- und die Bahnhofstrasse gesperrt werden sollen: vor allem in der Nacht, am Wochenende und während der Pendlerzeiten am Morgen und Abend. Ziel ist es, dass auf den beiden Strassen künftig noch rund 4000 Fahrzeuge pro Tag verkehren – etwa 10 000 weniger als heute. Das Volkspostulat verlangt eine Reduktion der Sperrzeiten: Die Poller sollen, wenn überhaupt, nur noch an Werktagen in den Stosszeiten am Morgen und Abend hochgefahren werden – und nur in der Hauptfahrtrichtung der Pendler. Für IG-Hauptinitiant und Augenarzt Paul Steinmann sind die versenkbaren Pfosten «Gift» – vor allem für das Gewerbe im Ortskern. Man könne die Zufahrt ins Dorf nicht einfach schliessen, sagt er.

Zudem hat die IG in die Wege geleitet, dass FDP und SVP im Gemeindeparlament eine Motion eingereicht haben. Der Vorstoss fordert eine einfachere Zufahrt zum Bärenzentrum. Rund um das Areal soll eine Art Karussellverkehr eingeführt werden. (ad)

Autor:in
Adrian Schmid, Der Bund
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Erstellt: 23.11.2015
Geändert: 23.11.2015
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