Ortsgeschichte Worb: Tanzen erzürnte Gott

Ging über Worb ein Gewitter nieder, war nicht die Wetterlage schuld, sondern der Nachbar, der am Sonntag getanzt hatte. Im 18. Jahrhundert versuchte ein Worber Gericht, den zornigen Gott zu besänftigen.

Brigitte Walser, Berner Zeitung BZ
Am 12. Januar wurde der Worber Anthoni Grüssi zu 12 Stunden Gefangenschaft verurteilt. Sein Vergehen: Er hatte «schrecklich und entsetzlich» geflucht. Dafür wurde er vor das Worber Chorgericht gestellt. Das war im Jahre 1740, und so wurde es vom damaligen Pfarrer in Worb protokolliert. Der Historiker Thomas Brodbeck hat die Worber Chorgerichtsprotokolle aus den Jahren 1670 bis 1790 untersucht und an einem Vortrag der Volkshochschule zur Worber Ortsgeschichte dargelegt.

Grüssi hat nicht nur geflucht. Doch bei seinen übrigen Taten - er hatte zudem in betrunkenem Zustand seine Frau und seinen Sohn mit Schlägen «schändlich und übel traktiert» - genügte es, dass er «in sich ging», seine Fehler erkannte und um Verzeihung bat. Ausserdem versprach er, dass dies nie mehr vorkomme.

Gott beleidigt

Ein solches Urteil mag erstaunen, lässt sich aber für die damalige Zeit durchaus erklären. Das Gewaltvergehen gegen die eigene Familie war mit der Einsicht und der Versöhnung wieder gutzumachen, das Gebot der Nächstenliebe war damit wieder hergestellt. Das Fluchen aber verlangte nach härteren Massnahmen. «Denn damit beleidigte Grüssi Gott», erklärte Brodbeck. Und der Zorn Gottes war gross. «Wie ein Damoklesschwert hing er über Worb», so Brodbeck, «und wenn er sich entlud, dann ging ein Unwetter über der Gemeinde nieder, das die Ernte zerstörte, ein kalter Winter brach herein, oder aber die Pest flammte wieder auf».

Für die Erklärung solcher Katastrophen wurde damals noch nicht die Wissenschaft herbeigezogen. Die Ordnung der Welt war auf der Religion aufgebaut, und diejenige des Jenseits erst recht: Das Leben nach dem Tod verbrachte man entweder im Himmel oder in der Hölle.

Wieder versöhnt

Das Worber Chorgericht wurde nach der Reformation eingeführt und war dazu da, die göttliche Ordnung umzusetzen und zu überwachen. Es war in der Gemeinde fest verankert, «denn es hielt die Sünder zur Versöhnung mit Gott an», so Brodbeck. Etwas, das letztendlich allen Worbern zugute kam. Wäre man nicht gegen die Schuldigen vorgegangen, hätte man sich mitschuldig gemacht und also selber Gottes Zorn auf sich geladen.

Das Gericht tagte am Sonntag nach der Predigt. Eine Gruppe von angesehenen Worbern, darunter der Pfarrer, sprach die Strafe aus. Die Gesetze waren vom Berner Rat erlassen worden und richteten sich nach den Zehn Geboten. Vors Chorgericht kamen kirchliche Angelegenheiten, etwa Gotteslästerung, Predigtverweigerung, Ehekonflikte, Gewalt, sexuelle Vergehen oder Masslosigkeit.

Erneut herausgefordert

Brodbeck hat festgestellt, dass sich Gott in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vermehrt über tanzende Worber erzürnt haben muss. Immer wieder kam es zu Verurteilungen, denn - so steht es im Grossen Mandat der Stadt Bern von 1661 - Tanzen geht nicht «ohne ärgerliche Gebärden und böse unzüchtige Gedanken ab». Daraus könnten auch andere ungute «Früchte» erwachsen, etwa «Argwohn, Neid, Hass, Totschlag und dergleichen». So hat Brodbeck für das Jahr 1773 in Worb fast 40 Personen gezählt, die des Tanzens beschuldigt und vom Gericht zu Geldstrafen verurteilt wurden. «Erst um 1800 löste sich das Tanzverbot auf», sagte Brodbeck. Und allmählich schwand auch die Bedeutung des Chorgerichtes. Denn nun war es nicht mehr der Glaube, mit dem man die Welt zu deuten versuchte, das Damoklesschwert hatte seine Wirkung verloren. 1876 schliesslich verschwand das Chorgericht gänzlich von der Bildfläche: Das Zivilgericht hatte dessen Aufgabe übernommen.

[i] Die Vortragsreihe der Volkshochschule wird im Sommer fortgesetzt. Sie hängt mit der Entstehung der Worber Ortsgeschichte zusammen. Das Buch erscheint im November. Thomas Brodbeck hat mitgearbeitet.

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Erstellt: 30.01.2004
Geändert: 30.01.2004
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