Oberdiessbach - Keine höhere Genugtuung für Halbwaisen

Die Kinder einer 2007 getöteten Frau beantragten beim Kanton Opferhilfe. Weil ihnen tiefere Beträge zugesprochen wurden als beantragt, gelangten sie ans Verwaltungsgericht. Sie bekamen nur teilweise Recht.

Nora Scheidegger / Thuner Tagblatt TT
Das Familiendrama, welches sich im Herbst 2007 in Oberdiessbach ereignete, erschütterte die ganze Schweiz: Nach einem heftigen Streit stach ein Familienvater mit einem Küchenmesser 15 Mal auf seine Ehefrau ein. Die Mutter dreier Kinder verstarb noch am Tatort. Der Täter selber musste später schwer verletzt ins Spital gebracht werden, nachdem er sich vom dritten Stock des Hauses gestürzt hatte (wir berichteten).

Für seine Tat wurde der Schweizer marokkanischer Herkunft zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt. Zurück blieben zwei Söhne und eine Stieftochter, die seither praktisch als Vollwaisen weiterleben mussten.

Anspruch auf Opferhilfe

Heute, fast drei Jahre nach der tragischen Nacht, hatte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern einen Fall im Zusammenhang mit dem Vorfall zu beurteilen: «Wer durch eine Straftat in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, kann Opferhilfe beanspruchen», steht im Gesetz. So reichten denn auch die drei Kinder der getöteten Frau Gesuche um opferhilferechtliche Entschädigung sowie Genugtuung bei der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern (GEF) ein. Die beiden Söhne, die zur Tatzeit zehn und acht Jahre alt waren und den Vorfall vom Kinderzimmer aus mitverfolgen mussten, beantragten eine Entschädigung von jeweils 100 000 Franken und eine Genugtuung von je 50 000 Franken. Von der GEF zugesprochen wurden ihnen aber lediglich je rund 13 000 Franken Entschädigung und je 44 000 Franken Genugtuung.

Auch die Stieftochter des Täters erhielt statt der beantragten 86 000 Entschädigung und 40 000 Franken Genugtuung nur rund 10 000 respektive 38 000 Franken.

«Zum Teil falsch»

Dagegen gelangten sie ans Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Es hiess ihre Beschwerde nun teilweise gut: «Die GEF hat den Schaden der Beschwerdeführenden zum Teil falsch berechnet», heisst es im vergangenen Montag veröffentlichten Urteil. Die GEF muss nun zumindest die Entschädigungen neu festlegen. Die nach Ansicht der drei Kinder zu tiefen Genugtuungen korrigierte das Gericht hingegen nicht. «Bei der Bemessung einer Genugtuung massgebend ist einerseits die Schwere der Beeinträchtigung, andererseits die Möglichkeit, ob diese durch Zahlung einer Geldsumme gemildert werden kann», so das Gericht.

«Sozusagen Normalfall»

Die Bemessung funktioniere so: Den Kindern stehe zuerst einmal eine so genannte Basisgenugtuung von 25 000 Franken zu. Diese werde dann entsprechend den besonderen Umständen des Einzelfalls erhöht oder vermindert. «So hat die GEF beispielsweise den ehemals sehr engen Kontakt zwischen Mutter und Kindern bei der Bemessung genugtuungserhöhend berücksichtigt. Erhöhend wirkte sich auch aus, dass alle drei Kinder seit der Tat in psychotherapeutischer Behandlung sind», so das Gericht.

Die Kinder wiesen darauf hin, dass unter anderem der Umstand, dass sie ihre Mutter «unerwartet, plötzlich und überraschend» verloren haben, auch erhöhend hätte berücksichtigt werden müssen. Das Verwaltungsgericht sah das anders: «Dass solche Straftaten unerwartet und überraschend sind, ist die Regel. Dies ist sozusagen ein ‹opferhilferechtlicher Normalfall›.» Insgesamt kamen die Richter zum Schluss, dass die zugesprochenen Genugtuungen in Ordnung seien.

Die Beschwerde kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

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Nora Scheidegger / Thuner Tagblatt TT
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Erstellt: 19.07.2010
Geändert: 19.07.2010
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