Münsingen - Sportorthopädie ist heftig umstritten

Im Spital Münsingen soll im April eine neue Abteilung für Sportorthopädie ihre Türen öffnen. Kostenpunkt: Zwei Millionen Franken. Der neue Arzt darf jedoch nicht einmal Assistenzärzte ausbilden.

Sarah Nowotny / Der Bund
Die bernischen Spitäler verzetteln sich; zu viele bieten an mehreren Standorten mithilfe zahlreicher Spezialärzte das Gleiche an. Das ist ein Grund, warum sich die Prämienzahler im Kanton mit einer massiven Erhöhung der Krankenkassenprämien herumschlagen müssen. In diesem Zusammenhang erstaunt es, dass die Spital-Netz Bern AG mit ihren kantonalen Spitälern nun zwei Millionen Franken in eine sportorthopädische Abteilung im Spital Münsingen investiert. Am ersten April soll sie ihre Türen öffnen, wie die «Berner Zeitung» berichtete. Dieser Ausbau ist ein Bruch mit den aufkeimenden kantonalen Bemühungen, Kräfte zu bündeln – zumal die Spital-Netz Bern keine 15 Kilometer entfernt im Berner Zieglerspital eine Abteilung für Orthopädie betreibt, ebenso wie in Aarberg.

Auch die Frage, ob die Behandlung von Sportlern zur Grundversorgung gehört und daher ein Betätigungsfeld für die kantonalen Spitäler sein sollte, muss erlaubt sein. Hinzu kommt, dass der Arzt, für den die neue Gruppenpraxis in Münsingen vorgesehen ist und der im Spital operieren soll, keine Weiterbildungsbefugnis hat – Assistenzärzte könnten sich die Arbeit für ihn also nicht als Teil ihrer Ausbildung anrechnen lassen.

Kritik aus den eigenen Reihen

Der Orthopäde, der im Moment für die Klinik Sonnenhof arbeitet und nicht Mitglied der Berner Gesellschaft für Orthopäden ist, stellte 2007 den Antrag, weiterbilden zu dürfen, wie «Bund»-Recherchen ergaben. Nach langen Verhandlungen erhielt er schliesslich eine auf ein Jahr befristete Bewilligung, die aber an seine Stelle im Sonnenhof gekoppelt ist und die er mit dem Umzug nach Münsingen verliert. Dies liegt nicht primär an seiner Person, sondern daran, dass kleine Spitäler aus Gründen der Qualitätssicherung nur noch befristet akkreditiert werden. Dennoch ist aus Ärztekreisen zu erfahren, dass das Fehlen einer Weiterbildungsbefugnis bei Berufskollegen sehr selten sei. Die Vernunft gebiete es Ärzten, innerhalb der Strukturen des für die Weiterbildung zuständigen Verbands FMH zu operieren – alles andere grenze an Selbstüberschätzung. Sie wären zurückhaltend, wenn es darum ginge, einem solchen Arzt Patienten zuzuweisen, sagen Mediziner, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. Aus anderen Spitälern ist ausserdem zu vernehmen, dass ein Arzt ohne Weiterbildungsbefugnis niemals angestellt würde. Hinzu kommt, dass sich der Orthopäde mit der Krankenkasse Allianz Suisse darüber streitet, ob er fiktive operative Eingriffe verrechnet hat, wie die BZ weiter schrieb. Für den «Bund» war der umstrittene Arzt gestern indes nicht erreichbar.

Das letzte Wort in Sachen Sportorthopädie Münsingen dürfte noch nicht gesprochen sein, denn Kritik am Arzt und am Vorhaben überhaupt ist auch aus dem Umfeld der Spital-Netz Bern AG zu hören. Es wäre sinnvoller und letztlich vielleicht auch günstiger, die gesamte Orthopädie dem Zieglerspital zu unterstellen, heisst es. Von der fehlenden Weiterbildungsbefugnis des Arztes hat aber offenbar niemand gewusst. «Wir stehen hinter unserem neuen Orthopäden», sagt Fredy Furrer, Chef der Spital-Netz Bern AG, lakonisch. Die Entscheidung, ihn anzustellen, habe die Leitung des Spitals Münsingen gefällt, die Chefetage der Spital-Netz Bern sei aber einverstanden gewesen und habe die zwei Millionen Franken für den Aufbau der Abteilung bewilligt. Dabei handle es sich um eigene Mittel des Unternehmens. «Sportorthopädie ist in erster Linie ein Marketingbegriff. Aber Sportler gibt es schliesslich viele im Kanton Bern.» Das Ziel des neuen Angebots sei, mehr stationäre Patienten anzulocken. «Dabei lassen wir unsere Landspitäler nicht ausbluten.

Die Bevölkerung wünscht keine Konzentration bei den Spitalstandorten und -leistungen.» Allerdings könne man sich tatsächlich darüber streiten, ob Sportorthopädie zur Grundversorgung gehöre.

«Haben überlegt, einzugreifen»

Laut Gesetz seien die kantonalen Spitalgruppen innerhalb ihres Mandats autonom, auch bei Personalfragen, sagt Annamaria Müller Imboden, Leiterin des kantonalen Spitalamts. «Sportorthopädie ist erweiterte Grundversorgung, auch wenn wir die Disziplin auf unserer Liste gar nicht führen.» Dennoch sei der Kanton nicht begeistert über die Entstehung der neuen Abteilung und habe sich überlegt, einzugreifen – «zumal wir aus den Medien davon erfahren mussten». Die Spital-Netz Bern AG sollte darüber nachdenken, ob die Sportorthopädie der richtige Weg sei.

«Wenn sie damit nicht genug Fallzahlen generieren können, bekommen sie bald Probleme.» Gesundheitsdirektor Perrenoud brauche aber angesichts der gesetzlichen Lage in dieser Angelegenheit gute Gründe, um sich einzumischen – «etwa eine aufsichtsrechtliche Beschwerde gegen den Arzt».

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Sarah Nowotny / Der Bund
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Erstellt: 14.01.2010
Geändert: 14.01.2010
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