Konolfingen - Zwei Hunde sorgen auf der Alp für ein ruhiges Züchterleben
Der Wolf ist zurück im Berner Oberland. Immer mehr Schafzüchter schützen deshalb ihre Herden mit Hunden. Erste Erfahrungen mit Herdenschutzhunden haben die Züchter aus Konolfingen gesammelt. Ein Augenschein im Oberländer Wolfsrevier.
Christian Liechti, Berner Zeitung BZ
Die Anspannung ist verflogen. Nicht, weil die Gruppe den halbstündigen Marsch hinauf auf den Bergsattel hinter sich gebracht hat. Den Aufstieg sind sich die Mitglieder der Schafzuchtgenossenschaft Konolfingen längst gewohnt. Die Erleichterung stellt sich ein, weil die Züchter ihre Schafherde auf der Alp Wildenstein erblickt haben. Die 157 Tiere sind wohlauf. Keine Selbstverständlichkeit in der rauen Bergwelt: Der Wind bläst an diesem Mittwoch kalt über den Grat. Das Thermometer stieg am Morgen nur knapp über den Gefrierpunkt. Weit unten im Simmental liegt Därstetten im Schatten der Berge. Im Rücken der Schafzüchter thront das Stockhorn, und der Oberstockensee gleicht mehr einem schwarzen Loch denn einem klaren Bergsee.
Drei Weiden
Rund 20 Züchter schicken ihre Braunkopf-Schafe jeweils von Anfang Juni bis Mitte September auf die Alp Wildenstein. Die Bergflanke auf rund 1800 Metern über Meer ist mit Stacheldrahtzäunen in drei Umtriebsweiden unterteilt. Die Herde wechselt alle zwei Wochen von der einen in die andere Weide. So finden die Tiere immer genügend Futter. Zehn Mann arbeiten im Frühjahr zwei Wochenenden, um die Zäune aufzubauen. Als «Tagwerk» bezeichnen die Schafzüchter die Arbeit auf ihrer Alp.
Auf Simmentaler Alpen sind nicht nur Kühe, Rinder, Schafe, Schweine und Geissen zu Hause. Auch der Luchs ist hier heimisch. Vor mehreren Jahren riss er auf der Alp Wildenstein Lämmer. Seit 2001 streunt auch der Wolf durch die Berner Alpen. 2006 hat er im Oberland erstmals Schafe gefressen.
Der Wolf spaltet die Züchter
Weil der Wolf seither jeden Sommer über die Berner Alpen streunt, bangen die Schafhalter um ihre Tiere. Statt den ersten Angriff des Wolfs auf ihre Schafe abzuwarten, haben die Konolfinger Züchter reagiert. An ihrer letzten Hauptversammlung entschieden sie, ihre Schafherde mit zwei Hunden zu schützen. Hitzige Diskussionen mit gehässigen Worten gingen dem Entscheid voraus. Aufzuhören, den Wolf zu bekämpfen, und sich vom Feindbild zu lösen, habe die Genossenschaft gespalten, erzählt Bergvogt Hansueli Hofer (62). «Viele Schäfeler glaubten, sie würden sich im Kampf gegen den Wolf ergeben, wenn sie dem Herdenschutz zustimmten.»
Auch Bergvogt Hofer, der entscheidet, welche Arbeiten auf der Alp erledigt werden müssen, und hier oben die Verantwortung trägt, stemmte sich anfänglich gegen den Einsatz der Hunde. «Wer seine Schafe liebt, setzt jedoch alles daran, sie vor dem Wolf zu schützen.» Heute ist Hofer vom Herdenschutz begeistert: «Mit den Hunden zu arbeiten ist ein Erlebnis», sagt er.
Im vergangenen Sommer bewachte Ferox alleine die Schafe. Um erste Erfahrungen zu sammeln, mietete die Genossenschaft das Tier. Der 2-jährige Rüde stammt von den italienischen «Cane da pastore Maremmano-Abruzzese» ab; kurz «Maremmaner». Zu Beginn dieses Alpsommers hat Ferox Gesellschaft erhalten: Hündin Campanella ist gut ein Jahr alt, etwas kleiner als der Rüde und noch etwas unsicher. Sie verbringt ihren ersten Sommer auf der Alp.
Chef und Stellvertreter
Die Rollen auf der Alp Wildenstein sind verteilt. Ferox ist mutig, selbstsicher und stur. Ferox ist der Chef. Nähert sich ein wildes Tier oder ein Wanderer der Weide, verteidigt er die Herde. Im äussersten Fall auch mit Einsatz seines 60 Kilo schweren Körpers. Meist reicht schon einfaches Bellen, um sein Territorium zu markieren. Wanderer tun gut daran, Schafherden mit Schutzhunden zu umgehen. Ferox ordnet sich jedoch unter, sobald Bergvogt Hofer über den Stacheldrahtzaun in die Weide steigt. «Die Hunde wissen genau, dass ich auf der Alp das Sagen habe.» Ferox und Campanella freuen sich riesig auf den Besuch. Sie rennen um die Besuchergruppe, wedeln mit ihren Schwänzen, liegen dem Bergvogt vor die Füsse, um sich ihren Bauch kraulen zu lassen.
Wagt sich eines der Schafe zu nahe an die Gruppe heran, verscheucht Ferox das Tier. Zu Beginn des Alpsommers gehorcht jedoch längst nicht jedes Schaf dem Rüden. «Ein ausgewachsener Widder ist manchmal genauso stur wie die Hunde. Sie bewegen sich keine zwei Schritte zur Seite und bleiben stehen», sagt Adrian Brenzikofer (27), Kassier der Schafzuchtgenossenschaft. Dann müsse die Rangordnung zwischen Schaf und Hund erst hergestellt werden.
Keine Familienhunde
Drei Monate leben Schafe und Hunde alleine auf der Alp. Die restlichen neuen Monate betreut Brenzikofer die Hunde auf seinem Hof in Häutligen. In den Wintermonaten leben Ferox und Campanella im Schafstall und in der Koppel. «Die Schutzhunde werden in der Schafherde geboren, wachsen in ihr auf und verbringen ihr ganzes Leben unter freiem Himmel», sagt Brenzikofer. Seine Nachbarn müssten viel Verständnis für die Tiere aufbringen. Denn die Hunde bellten jeden an, der sich der Winterweide näherte.
Bund bezahlt die Kosten
Die Schafzuchtgenossenschaft hat die beiden Hunde gekauft. Ein Welpe kostet ab drei Monaten zwischen 700 und 1200 Franken. Ein ausgewachsener Schutzhund kann mit bis zu 2500 Franken zu Buche schlagen. Der Bund unterstützt den Herdenschutz der Genossenschaft pro Jahr mit 2000 Franken. Pro Hund entrichtet er zudem 1000 Franken, um Futter und Tierarzt zu bezahlen. «Unter dem Strich geht die Rechnung gerade so auf», sagt der Kassier. «Die Investitionen haben sich bisher gelohnt», ergänzt Bergvogt Hansueli Hofer. In den letzten beiden Jahren habe kein Wolf die Herde auf der Alp Wildenstein angegriffen. Der Wolf wich dafür auf Simmentaler Alpen ohne Herdenschutz aus. Hier riss er Anfang Monat über 20 Schafe.
[i] Mehr Informationen: www.herdenschutzschweiz.ch
[i] Mehr Informationen: www.herdenschutzschweiz.ch