Konolfingen - Der Chef prophezeite ihr ein Weihnachtskind

Seit 34 Jahren ist Heiligabend für Ruth Karau noch ein Stück spezieller als früher: Just am Tag, an dem die Christen die Geburt des Jesuskindes feiern, ist sie selber Mutter geworden.

Stephan Künzi, Berner Zeitung BZ

Nein, Weihnachten wollte sie auf keinen Fall nicht im Spital verbringen. Das stand für Ruth Karau fest, damals, als sie ihr erstes Kind erwartete. Lange sah es auch so aus, als ob ihr Wunsch in Erfüllung gehen würde. Die Geburt war für den 9. Januar vorhergesagt, und der Arzt hatte ihr noch kurz vor den Festtagen versichert, dass sie mit diesem Termin rechnen könne.

Nur ihr Chef im Büro war anderer Meinung. «Ich hatte einen Riesenbauch, und so prophezeite er mir, dass ich mein Kind sicher über Weihnachten haben werde», erzählt sie- und so sollte es auch sein. Am späten Abend des 23. Dezember setzten unvermittelt die Wehen ein, und nur Stunden später war der kleine Sandro auf der Welt. Das war an Heiligabend 1981, vor 34 Jahren.

Echte Kerzen waren erlaubt

Heute ist «der Horror», wie Ruth Karau ihre anfängliche Angst vor einem Spitalaufenthalt in der Festzeit nennt, längst verflogen. Wenn die heute 58-Jährige von der Geburt des Älteren ihrer zwei Kinder redet, wirkt sie im Gegenteil ganz entspannt. «Die Zeit im Wochenbett war wunderschön.» Das Spital sei hübsch dekoriert gewesen, und das Personal habe sich mit netten Worten und gutem Essen alle Mühe gegeben. «Wir durften sogar echte Kerzen anzünden.»

Es schneite und schneite

Das Wetter trug das Seine zur weihnächtlichen Stimmung bei, «es herrschte dichtes Schneetreiben». Vielleicht sei es bei ihr genau deshalb so früh losgegangen, «man sagt ja, dass es bei Schneefall mehr Geburten gibt». Was sie im Spital erlebt hat, scheint diese Volksweisheit zu bestätigen. Die Abteilung war so voll, dass sie nur noch in einem Viererzimmer un­terkam. Entsprechend gab es hier an diesem 24. Dezember noch vier weitere Kinder, darun­ter ein Zwillingspaar.

Sicher, an Heiligabend ein Kind zur Welt zu bringen, sei etwas ganz Besonderes. Ruth Karau stellt es beim Erzählen immer wieder fest. Dass sie dabei nicht einmal so sehr an die Parallelen zu den Geschichten aus der Bibel denkt, sagt sie auch. Ungeachtet dessen, dass es im Kern dieser christlichen Tradition ebenfalls eine Geburt geht: Maria bringt Jesus zur Welt und lässt es so erst Weihnachten werden.

Wenn sie über die vergangenen 34 Jahre redet, steht für sie anderes im Vordergrund. Allem voran, dass es ihr wichtig war, für ihren Sohn einen eigenständigen Geburtstag zu organisieren: Der Vormittag des 24. Dezember war immer für seinen Geburtstagsbrunch reserviert, zu dem auch Grosseltern, Gotte und Götti kamen. Erst anschliessend wurde das Bäumchen für die Feier am Abend geschmückt, an der die engere Familie in aller Regel unter sich blieb.

Trotzdem schlug dem Sohn oft Mitleid entgegen. Viele Bekannte nahmen ganz selbstverständlich an, dass er an Heiligabend nur einmal gefeiert und nur einmal mit Päckli beschenkt wurde. «Dabei war eher das Gegenteil der Fall: Weil viele so dachten, bekam er eher mehr.»

Plötzlich kamen die Tränen

Wie sie es generell mit Weihnachten halte? Ruth Karau muss nicht lange überlegen. «Ich schmücke gerne meine Wohnung, und ich koche gerne für meine Familie.» Natürlich habe der 24. Dezember mit der Geburt des Sohnes noch an Bedeutung gewonnen, «es ist ein sehr spezieller Tag». Wie speziell, ist ihr letztes Jahr so richtig aufgegangen. Damals weilte er für längere Zeit in den Ferien und fehlte zum ersten Mal in der Festzeit. Als er anrief, überkamen sie die Gefühle, «plötzlich hatte ich Tränen in den Augen».

Verreist war er übrigens in wärmere Gefilde. «Er hat den Schnee überhaupt nicht gern», stellt sie fest, und ein vielsagendes Lächeln huscht über ihre Lippen. Tatsächlich: Was für ein Gegensatz zum Wetter, das damals, vor 34 Jahren, an Heiligabend herrschte.


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Stephan Künzi, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 24.12.2015
Geändert: 24.12.2015
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