Kiesen - Mittelalterliche Lagerromantik mit Läuseglanz
Nach 2013 lud der Mittelalterverein Bern am Wochenende zum zweiten Mal nach Kiesen ein. 12 Heerlager und über 50 Marktfahrer inszenierten ein historisches Spektakel, das viel Publikum anzog. Beim Frisurenzelt von Esmée Güntensperger liessen sich besonders viele weibliche Fans der Szene stilecht frisieren.
Psch. Psch. Psch. Immer wieder setzt Coiffeurin Esmée Güntensperger die Sprühflasche ein, mit der sie das dunkelbraune Haar der Kundin mit einer Flüssigkeit benetzt. Mit sicherer Hand flicht die Haarkünstlerin eine mittelalterliche Frisur. Was sie denn da aufsprühe, wird sie gefragt. «Sekret der Schellacklaus!», antwortet sie fröhlich und arbeitet auf der linken Kopfseite der Kundin weiter. «Die Frisur sitzt leicht asymmetrisch, deshalb ist die linke Seite aufwendiger», erklärt sie. Bis zur Erfindung des Haarsprays wurde jahrhundertelang das Läusesekret als schimmerndes Haarmittel eingesetzt, das auch den Schellackplatten für das Grammofon ihren Glanz gab.
Nun werden am Hinterkopf die einzelnen Flechten zu einem Dutt zusammengefasst. Güntensperger nimmt eine Nadel, die aus Geweih gefertigt ist, und fixiert das Kunstwerk mit braunem Wollfaden. «Das hält ungefähr eine Woche», weiss die Coiffeurin, die seit 5 Jahren auf Mittelaltermärkten in der Schweiz und in Deutschland unterwegs ist. Seit 15 Jahren betreibt die Frau ihren Coiffeursalon Absolut an der Bernstrasse 272 in Heimberg.
«Vor 5 Jahren besuchte ich mit einer Freundin einen Mittelaltermarkt in Weil am Rhein. Ich wollte so gerne eine Frisur, die zu meinem historischen Gewand passt, aber ich fand damals niemanden, der das kann», erinnert sich Esmée. «Eine Freundin brachte mich dann darauf, das doch selbst zu lernen. Wie besessen begann ich, zu lernen, kunstvolle Flechtfrisuren zu gestalten.» Die Coiffeurin liess sich von historischen Gemälden und Zeichnungen inspirieren und brachte sich die Kunst selbst bei. Als sie sich sicher genug fühlte, nähte sie sich ein Zelt. Im Frühjahr 2011 zog sie zum ersten Mal los, um ihre Kunst an einem Märit anzubieten.
Inzwischen beherrscht sie 30 verschiedene Modelle wie im Schlaf. «Ab einer Haarlänge von zehn Zentimetern ist so eine Haartracht möglich. Heutzutage tragen die Damen ja die Haare nicht mehr so lang, deshalb habe ich die Frisuren etwas angepasst.» Esmée Güntensperger liebt vor allem die Atmosphäre auf den historischen Märkten. «Hier geht alles einen Pulsschlag langsamer, und die Menschen sind freundlich gestimmt auf ihrer Zeitreise ins Mittelalter.» Ein Markttag dauert meist 12 Stunden, deshalb steht der Mittelaltercoiffeurin Tanja Mathis zur Seite, der Esmée ihre Kunst beigebracht hat.
Auch für Herren hält sie ein Angebot bereit: Die Herrenrasur hat sie bei einem Rasiermesserhändler in Bern erlernt. Dazu gehören heisse Tücher, das Einseifen, die Rasur mit dem Messer und eine Gesichtsmassage – ein echt historisches Wellnessprogramm. Eine Sackpfeife dudelt mittelalterliche Weisen, irgendwo spielt eine Harfenistin, es brutzelt in Pfannen und an Spiessen. Auf dem Schlachtfeld beginnt in gewaltfreien Schaukämpfen die Schlacht um Chiesun, die 1187 hätte stattfinden können. Eine Schmiedin haut aufs glühende Eisen, eine Gruppe wiegt sich im Tanz, und Knorrli wartet in seiner Schenke auf seine Gäste – es ist Mittelalter in Kiesen.
Bilanz - Ungebrochene Faszination fürs Mittelalter
Den rustikalen Charme des Mittelaltermarktes wussten circa 8000 grosse und 2000 kleine Menschen zu schätzen, vermeldete OK-Präsident Rolf Gottier gestern. «Wir hatten mit 5000 bis 6000 Besuchern gerechnet, gekommen sind rund 10 000», freute sich der Präsident. Rund 50 Prozent der Besucher erschienen in historischen Gewändern. Als sehr beliebt erwies sich die nachgestellte Schlacht am Samstagabend und am Sonntagmittag, bei der je rund 2000 Zuschauer gezählt wurden.
Besonders beliebt bei Kindern waren die Handwerkervorführungen, bei denen sie auch selbst Hand anlegen durften. Die Standmiete betrug für reine Verkaufsstände 150 Franken. Ausstellende Handwerker zahlten für ihr Angebot nichts. Einzelne erhielten laut Gottier «bei grossem Aufwand» auch eine Gage. Mit der Parkplatzgebühr von 5 Franken pro Auto deckte der Mittelalterverein die Kosten für die Miete des Geländes. Die Marktbeschicker kamen vor allem aus der Schweiz. 110 ehrenamtliche Helfer des Vereins waren im Vorfeld 4000 Arbeitsstunden am Werk.