Gysenstein - Anton, der engagierte Barde

Er wohnt mit seiner Familie in einer alten Käserei in Gysenstein. Dort gibt er Kurse im «Katzenquälen», veranstaltet Konzerte und spielt ganz nebenbei in sieben Bands. Nun erscheint Antons herrlich schräges Album «Ansichten eines afghanischen Hirtenhundes». Eine Begegnung.

Marina Bolzli / Berner Zeitung BZ
Einen Hund hat er nicht. Weder einen afghanischen Hirtenhund noch sonst einen. «Ich bin eher der Katzentyp», sagt Anton. Er steht im Sonnenschein vor der alten Käserei in Gysenstein ob Konolfingen, ruft den grossen Kater zu sich und hält ihn mit Geflüster in einer Sprache bei Laune, die sonst nirgends auf der Welt gesprochen wird.

Anton Brüschweiler nennt sich nur Anton, weil sich sowieso niemand seinen Nachnamen merken könne. Die Katze heisst Paradidl – inspiriert nach einem Schlagzeugrhythmus. Sie setzt sich Anton auf die Schultern, er tut so, als ob er sie in den Schwanz beissen würde. Die lieblichen Hügel des Emmentals runden das idyllische Bild ab. Willkommen in Antons Welt.

Probleme, Probleme

Anton ist Pazifist. Davon singt er in «Pazifischt», einem Song über die Gewaltfantasien, denen sich ein Gutmensch verweigern muss. Und je mehr er sich ihnen verweigert, desto grausamer werden sie: «I wet ihm z’hölzige Glasoug poliere, wet ne mit Sojaschrott vouschmiere …» Aber eben, Anton ist Pazifist. Das sind «Problem, Problem, Problem», von denen ein weiteres Lied des Barden handelt. Probleme, die in unseren Breitengraden intensiv beschäftigen: den Schirm im Kino vergessen, eine Allergie gegen Krustentiere haben, bei Regen mit dem Hund rausmüssen. Dabei gäbe es doch weitaus wichtigere Probleme in der Welt, suggeriert Anton.

Scheinbar Unwichtiges zu Wichtigem machen – oder umgekehrt, Wichtiges banal erscheinen lassen, das ist der Leitfaden des Albums. Da wirkt plötzlich auch der absurd anmutende Titel «Ansichten eines afghanischen Hirtenhunds» nicht mehr zufällig. «Mit Afghanistan verbindet man viele schlechte Dinge, Krieg, Terror – und dann gibt es diesen unschuldigen Hund, der diskriminiert wird, weil er anscheinend Mundgeruch hat», sagt Anton.

Das Album ist ein Sammelsurium von vordergründig einfachen berndeutschen Liedern und Geschichten mit Pointen, die zum Teil lange nachwirken. Begleitet werden die Texte nicht nur von simplen Gitarrenakkorden, ab und zu blitzt etwas Country auf, und auch der Blues schwingt mit.

Dass er Lieder schreiben kann, hat der ausgebildete Jazzgitarrist bereits mehrfach bewiesen. In den 1980er-Jahren war er mit Pünktchen und Anton gut unterwegs, bis 2007 bildete er gemeinsam mit seiner Frau Arlette Die Hellen Barden. Der Erfolg der Mundartgruppe und das ständige Unterwegssein wurde dem Ehepaar mit der Zeit jedoch zu viel. Zumal die beiden Töchter Lisette und Rosette während dieser Zeit hinzukamen.

Die beiden Mädchen schlurfen eben die Strasse hoch. Sie kehren aus der Schule zurück, besuchen in Gysenstein die Gesamtschule. Sie lachen und winken. Anton und seine Familie sind gut im Bauerndorf integriert. Jahrelang haben Arlette und Anton den Männerchor Gysenstein dirigiert und für die Männer gar ein «Gysensteiner-Lied» geschrieben. Und im Kulturzentrum, das die beiden in den alten Käsereiräumen eingerichtet haben, spielen nicht nur grossartige Jazzcombos wie «Hildegard lernt fliegen», es findet auch regelmässig ein Dorfhöck statt. Und natürlich ist es Ehrensache, dass die Plattentaufe von Anton auch in Gysenstein stattfinden wird.

Das Album wurde schliesslich dort aufgenommen. Doch das Gysensteiner Studio zieht auch andere Musiker an. Zum Beispiel den Velo fahrenden Berner Liedermacher Peter Sarbach. Sarbach ist seit Jahren ein guter Freund von Anton. Zusammen bilden sie das kabarettistische Duo Anton am Sarbach.

Anton am Sarbach ist nur eines von vielen Projekten, an denen Anton beteiligt ist. Ganzen sieben Musikcombos gehört er an. Unter ihnen die Tom-Waits-Band Raindogs oder Anton and the Headcleaners, eine instrumentale Jazz-Heavy-Rock-Combo.

Letztere hat momentan einen wichtigen Platz in Antons Leben. Im Frühling soll nämlich der Zweitling der Gruppe erscheinen. Das erste Album war vor 13 Jahren herausgekommen und wurde seither in Musikerkreisen dermassen Kult, dass das Label Unit Records Anton damit beauftragt hat, eine Nachfolgescheibe zu komponieren. Deshalb hat er sich im Sommer für einige Monate mit Sack und Pack in Nairs im Bündnerland verkrochen, um an neuen Songs zu tüfteln.

Ungesund leben mit Anton

Paradidl schleicht sich an. Anton packt die Katze und quetscht spielerisch ihren Kopf. Das sind Tricks, mit denen er in seinen «Katzenquälkursen», einer parodistischen Show, die Klientel beeindruckt. Ähnlich ironisch sind auch weitere «Kurse» von Anton zu verstehen, zum Beispiel «Wie mache ich mich unbeliebt?», der die Überangepasstheit der Menschen parodiert, oder «Ungesund leben», der auf den Gesundheitswahn abzielt. Paradidl lässt sich die Behandlung gerne gefallen. Schliesslich ist Anton Pazifist.

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Marina Bolzli / Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 10.11.2010
Geändert: 10.11.2010
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