Gericht in Schlosswil - Messerstecher wurde freigesprochen

Ein Mann stach einen anderen nieder. Weil er nicht schuldfähig ist, sprach ihn das Kreisgericht in Schlosswil frei.

Laura Fehlmann / Berner Zeitung BZ
Am Weihnachtstag 2008 gings im Durchgangszentrum Gutshof in Enggistein alles andere als weihnächtlich zu und her: Ein heute 24-jähriger Eriträer attackierte einen gleichaltrigen Afghanen mit einem Küchenmesser. Sieben Messerstiche verletzten das Opfer zwar schwer, aber nicht lebensbedrohlich.

Gestern trafen sich die beiden Asylbewerber am Kreisgericht Konolfingen in Schlosswil: Der eine trug Fussfesseln und wurde von zwei Polizisten begleitet. Der andere wirkte gesundheitlich angeschlagen. Er leide noch unter Schmerzen und befinde sich wegen der Verletzungsfolgen nach wie vor in ärztlicher Behandlung, sagte der Afghane zu Gerichtspräsident Hans Zwahlen. Was ihn immer noch quält, sei die Erinnerung an den brutalen Angriff. «Er drohte, mich zu töten», sagt er. Gründe für diese Drohung sieht er keine. «Wir kannten uns kaum und wir hatten uns vorher nie gestritten.»

Ein Zeuge hatte gehört, dass sich die beiden Männer schon in der Küche gestritten hatten. Das Opfer erzählte, der Angreifer sei in die Küche gekommen und habe ihn auf Englisch etwas gefragt. Weil er ihn nicht verstanden habe, wollte er jemanden zum Übersetzen holen. «Ich ging hinaus, drehte mich dann um und sah ihn mit einem Messer auf mich zukommen.» Der Afghane und ein Zeuge sagen übereinstimmend, dass der Eriträer immer wieder auf sein Opfer eingestochen habe. Ein russischer Asylbewerber konnte den blutenden Verletzten dann packen, in ein Zimmer ziehen und abschliessen.

Psychisch angeschlagen

Der Täter befindet sich seit Mai auf dem Thorberg. Vor Gericht gab er sich wortkarg. «Mir geht es gut», sagte er. Er nimmt Antidepressiva. Von einem psychiatrischen Gutachten, das über ihn erstellt wurde, hat er keine Kenntnis. Dieses Gutachten attestiert dem Eriträer, dass er psychisch krank sei. Er sei schizophren und depressiv, habe zwei Suizidversuche unternommen und sei nicht schuldfähig, so die Gutachterin. Angesprochen auf den damaligen Tag machte er geltend, der Afghane habe ihn bedroht und ihm eine Pfanne mit Essen angeworfen. «Ich musste mich verteidigen», rechtfertigte er den Griff zum Messer. Zugestochen habe er nicht so stark, aber ihm sei bewusst gewesen, dass er sein Opfer mit der Waffe tödlich verletzen könnte. Das Gericht untersuchte, ob er sich der versuchten vorsätzlichen Tötung, eventuell versuchter schwerer Körperverletzung oder einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand schuldig gemacht habe.

Therapie statt Gefängnis

Das Gericht, Staatsanwalt Roland Kernen und die Verteidigung folgten der Meinung der Gutachterin: Sie erachten den Täter als nicht schuldfähig, aber behandlungsbedürftig. Das Gericht sprach ihn frei, obschon die versuchte vorsätzliche Tötung unbestritten ist. Das Opfer habe sich nicht aggressiv verhalten, der Täter dagegen schon. «Wer sein Opfer von hinten mit einem Messer angreift und nicht von ihm ablässt, der will töten», stellte der Gerichtspräsident fest. Der Eriträer wird nun stationär in einer Klinik behandelt. Die Kosten für die Verteidigung rund 10 000 Franken und die Gerichtskosten von fast 20 000 Franken übernimmt der Staat.

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Laura Fehlmann / Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 24.06.2010
Geändert: 24.06.2010
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