Bolligen - Wie aus der Kiesgrube ein Familienquartier wurde
Vor 50 Jahren hielt das verdichtete Bauen Einzug in die Gemeinde: Der Hühnerbühlrain wurde gebaut. Das Konzept, günstigen Wohnraum für Familien zu schaffen, ist auch heute noch aktuell.
«Ich konnte mir erst nicht vorstellen, hier zu leben.» Als Susanne Eisner 1964 zum ersten Mal die neue Siedlung Hühnerbühl in Bolligen in Augenschein nahm, war sie alles andere als begeistert. Der kahle Beton und der Dreck der gerade abgeschlossenen Bauarbeiten schreckten sie ab. Dass sie mit ihrer Familie dennoch nach Bolligen zog, lag einzig daran, dass ihr die bisherige Wohnung in Köniz noch um einiges ungemütlicher erschien.
48 Jahre später lebt Susanne Eisner immer noch im Hühnerbühl und ist längst heimisch geworden. Drei Kinder der Familie sind hier aufgewachsen. Die einst abschreckenden Betonwände sind mit dichtem Grün überwachsen.
Neues Bauen
1961 begann das Architekturbüro Helfer mit der Planung der Siedlung. Über einer stillgelegten Kiesgrube sollte ein modernes, platzsparendes Quartier entstehen. Als Vorbild diente die Siedlung Halen in Herrenschwanden, die gerade erst fertiggestellt worden war. Ziel der Planer war es, Wohnraum zu schaffen, den sich auch junge Familien leisten konnten. So wurde neben 23 Reihen- und 3 frei stehenden Einfamilienhäusern auch ein Wohnblock mit 16 Wohnungen in die Siedlung integriert. Zu den Bewohnern der ersten Stunde gehörte Max Baltensperger, der 1962 mit seiner Familie einzog. Ihm gefiel das Konzept der verdichteten Siedlung: «Es wurden keine frei stehenden Häuschen mit eigenem Garten gebaut. Kein Feld-, Wald- und Wiesenquartier.» Zwar wurde unter den Einwohnern eine gewisse Distanz gewahrt, es dauerte Jahre, bis man sich untereinander das «Du» antrug. Doch die Siedlung war nichts für Einzelgänger. «Man musste bereit sein, in einer grösseren Gruppe zu leben», sagt Max Baltensperger: Die Heizung war zentral geregelt, Gleiches galt in den ersten Jahren auch für die Warmwasserversorgung. Die Parkplätze befanden sich nicht direkt bei den jeweiligen Wohnungen, sondern in einer zentralen Einstellhalle. Und exzessives Feiern war inmitten heranwachsender Kinder ohnehin verpönt.
Die Kinder – gestern und heute
Das Konzept funktionierte. Junge Familien aus der ganzen Schweiz zogen in den Hühnerbühlrain. Zeitweise hätten bis zu 70 Kinder im Quartier gelebt und gespielt, erzählt Susanne Eisner. Und viele blieben jahrzehntelang in Bolligen. Als Max Baltensperger in Zürich eine Anstellung fand, schaute er sich dort nach einer neuen Bleibe um. «Ich habe sicher 30 Häuser besichtigt», erzählt er. Doch konnte sich die Familie nicht entschliessen wegzuziehen. Insbesondere die Kinder bedrängten ihn zu bleiben.
Heute ist der zentrale Platz der Siedlung mit dem Sandkasten und dem Planschbecken verwaist. Ab den 1980er-Jahren entwickelte sich der Hühnerbühl zu einem Schlafquartier. Viele der Kinder von einst zogen weg und sind inzwischen selber Eltern. Das zeigte sich deutlich, als einige von ihnen Ende August die Feier zum 50-Jahr-Jubiläum des Quartiers besuchten.
Erst in den letzten Jahren zogen wieder vermehrt Familien ein. Schreibt ein Eigentümer ein Haus zum Verkauf aus, rät die Verwaltung der Überbauung, Familien zu berücksichtigen. Und folgt damit genau demselben Grundgedanken wie vor 50 Jahren.