Bevor Gottfried Egger nach Worb kam, versuchte er sein Glück in Chicago
Seit 150 Jahren wird in Worb das Egger-Bier gebraut. Im Familienbetrieb sind heute die fünfte und sechste Generation am Werk.
Ein frisch gezapftes Bier? Im kleinen Worb? Und das noch mitten im Winter? Es war eine kleine Sensation im Dorf, als Gottfried Egger am 1. Januar 1864 zum ersten Mal die Tür seiner Brauwirtschaft öffnete. Prompt war das Lokal voll mit Gästen - sie kamen an diesem Neujahrsmorgen direkt aus dem Gottesdienst in die Gaststube, um Eggers neues Bier zu probieren.
Gottfried Egger notierte in seinen Memoiren: «Hei, war das ein Leben und eine Freude unter der jüngeren Bevölkerung, die nun die Aussicht hatte, das ganze Jahr mit einem guten Glase Bier bedient zu werden, während vorher nur so im höchsten Sommer eine kurze Zeit Bier im Dorfe ausgeschenkt wurde.» Der Start war geglückt - der Gerstensaft, mit dessen Herstellung Egger im Herbst 1863 begonnen hatte, fand immer mehr Anhänger in und um Worb. Doch der Aufbau der dortigen Brauerei war nicht das erste Projekt von Gottfried Egger.
Er war als jüngstes von elf Kindern eines Hutmachers in Aarwangen zur Welt gekommen und hatte in Worb die Sekundarschule besucht. Dort lernte er seine Frau Elisabeth Bürki kennen, die ihn später zurück in den Ort führen sollte. Weil einige seiner Brüder in Aarwangen eine Brauerei betrieben, wurde auch Gottfried mit dem Handwerk vertraut. Er vertiefte sein Wissen auf Reisen durch Europa und wanderte 1855 in die USA aus, seine Frau «Bethli» folgte ihm später. In Aurora bei Chicago eröffnete er mit einem Geschäftspartner eine Bierbrauerei. Das Gebäude bauten die beiden praktisch von Hand, wie Egger notierte. Es folgten Jahre der harten Arbeit. Doch nach acht Jahren verkaufte Egger seinen Anteil an der Aurora Brewery und kehrte - vor allem wegen des Heimwehs seiner Frau - in die Schweiz zurück.
Ein wertvolles Erbe
Die Eggers zogen nach Worb, wo Bethli Erbin eines Landguts war - es war das Areal, auf dem die Brauerei noch heute steht. Gottfried funktionierte eine Scheune zur Brauerei um und richtete im herrschaftlichen Büren-Stock die Gastwirtschaft ein. Dieser beherbergt noch heute das Restaurant Braui. Die Suche nach einem Braukeller zur Gärung des Biers gestaltete sich jedoch schwieriger: «Ich hatte zuerst die Absicht, im Schlossgraben hinter dem Waschhaus rechts einen Stollen zu graben und denselben zu einem Bierkeller einzurichten, aber da warf die alte Frau, frühere Landvögtin in Aarwangen, ein entscheidendes ‹non possomus› dazwischen, die Erlaubnis wurde rundweg abgeschlagen.» Erst nach weiterer erfolgloser Suche stiess Egger auf einen Entwässerungskanal unter seinem eigenen Areal. Mineure bauten diesen schliesslich zum Gewölbekeller aus. Heute durchziehen verschiedene Stollen mit Leitungen und Gärtanks den Untergrund des Egger-Areals.
Ein Brand legte die Brauerei 1874 in Schutt und Asche, worauf Egger ein neues Brauhaus (siehe Bild) bauen liess. Heute ist darin die Flaschenabfüllanlage untergebracht. Um den Absatz seines Bieres auch ausserhalb der näheren Umgebung anzukurbeln, gab es damals nur ein Rezept: Man musste eigene Gasthäuser besitzen. So verschuldete sich Gottfried Egger und kaufte 1882 das Berner Fédéral. Die Immobilie erweis sich später als Glücksgriff: Das Egger-Logo ist die einzige Biermarke, die vom später angelegten Bundesplatz aus zu sehen ist. Auch der kurz darauf erworbene Anker am Kornhausplatz gehört heute noch der Familie.
2,5 Millionen Liter pro Jahr
Heute, vier Generationen später, beschäftigt die Brauerei unter Max Egger 48 Mitarbeiter und produziert als zweitgrösster Brauer im Kanton Bern (nach Rugenbräu, vor Felsenau) pro Jahr über 2,5 Millionen Liter Bier. Neben der Gastronomie ist heute auch der Detailhandel ein wichtiger Abnehmer. Coop ist mit seinen 60 Filialen, die Egger-Bier führen, ein wichtiger Kunde. Im Gegensatz zu diversen anderen bernischen Brauereien (etwa Gurten-Bier und Baumberger in Langenthal) ist Egger bis heute unabhängig und in Familienbesitz.
Traditionen werden hochgehalten: Die Brauerei beschäftigt zwei vollamtliche Bierfuhrmänner, die das Bier täglich per Kutsche zu den Kunden in und um Worb bringen. Mit der Tradition geht bei Egger auch eine gewisse Behäbigkeit und Bescheidenheit einher. So gibt es zum 150-Jahr-Jubiläum der Brauerei zwar ein «Jubiläumsbier». Doch eine neue Kreation ist dies nicht, sondern einfach eine festliche Etikette für das Lagerbier.
Gegen «irgendwelche Mixereien»
«Wir brauen nach dem deutschen Reinheitsgebot», sagt Marcel Egger, Sohn des heutigen Brauereichefs Max Egger. Die aus dem Mittelalter stammende Regel besagt, dass Bier nur als Gerstenmalz, Hopfen und Wasser (sowie Hefe) gebraut werden darf. «Es gibt Stimmen, die sagen, das verhindere Kreativität», sagt Marcel Egger. Doch Eggers sehen das anders: «Das Reinheitsgebot ist Kultur. Irgendwelche Mixereien haben nicht mehr viel mit Bier zu tun.»
Egger habe bereits eine relativ breite Bier-Palette und wolle sich nicht verzetteln, sagt Marcel Egger weiter. «Viele Leute wollen halt einfach eine ‹Stange›.» Doch ein Mischgetränk hat auch Egger auf den Markt gebracht - bereits in den 90er-Jahren: das Honigbier Fleur d’Abeilles. Doch auch hier halten sich Eggers an die Standesregeln, wie Marcel Egger erklärt: «Zuerst brauen wir das Bier nach dem Reinheitsgebot, und erst danach mischen wir ihm Honigmet bei.»
Sechste Generation steht bereit
Marcel Egger wird die Brauerei dereinst gemeinsam mit seinem Bruder Michael führen - für wann die Stabsübergabe geplant ist, behalten die Eggers noch für sich. Marcel ist für Personal und Verkauf zuständig, Michael hat in München eben einen Braumeistertitel erworben. Wie stark spüren die beiden die Verpflichtung, in die Fussstapfen ihrer Ahnen zu treten? «Wir sind beide freiwillig da, es wurde nie Druck auf uns gemacht.» Marcel Egger betont, er und sein Bruder seien beide auf Umwegen zur Brauerei gekommen. «Man darf sich von der langen Familientradition nicht verrückt machen lassen», sagt er in seiner bedächtigen Art. So ist auch ein Verkauf der Brauerei für Marcel Egger kein Thema. Das Erbe von Urururgrossvater Gottfried wird also weitergeführt.
[i] Grosses Jubiläumsfest 150 Jahre Brauerei Egger am kommenden Samstag auf dem Brauereiareal in Worb. Besichtigung der Brauerei von 9 bis 20 Uhr. Der Veranstaltungseintrag bei BERN-OST...