Arthrose - Nur nichts übers Knie brechen

In der Schweiz werden jedes Jahr rund 16'000 künstliche Kniegelenke eingesetzt. Das wäre nicht immer nötig: Für eine besondere Form der Kniearthrose haben Berner Orthopäden jetzt eine Methode entwickelt, wie der abgenutzte Knorpel rekonstruiert und das Gelenk gerettet werden kann.

Stefan Aerni, "Berner Oberländer"

«Das geht ja alles bestens.» Orthopäde Peter Wirz (56) legt das Bein seiner Patientin, das er zuvor gebeugt und gestreckt hat, zurück auf die Untersuchungsliege. Über das Gesicht von Irene Kroh huscht ein Lächeln.

Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte die 60-jährige Bernerin auf die Zähne beissen müssen, wenn sie ihrem Knie solche Bewegungen zugemutet hätte. Nachdem ihre linke Kniescheibe vor vielen Jahren einmal aus ihrer natürlichen Führung herausgesprungen war – Luxation nennen Ärzte ein solches Ereignis –, hatte sie zunehmend mit Kniebeschwerden zu kämpfen. Ging sie mit ihrem Hund spazieren, kam es immer häufiger vor, dass ihr Problemknie plötzlich blockierte, nachgab und wehtat. «Zuletzt hatte ich sogar in der Nacht Schmerzen», erinnert sich die medizinische Praxisassistentin. Da wusste sie, dass es so nicht weitergehen konnte.

Eher zufällig kam sie dann vor sechs Jahren an die richtige Adresse: ans Medmove, ein spezialisiertes Ärztezentrum in Worb. Und noch einmal wollte es der Zufall, dass dort an einer neuen Behandlungsmethode herumgetüftelt wird für genau das Problem, das bei Irene Kroh bald festgestellt wurde. Sie litt nämlich an einer äusseren Arthrose des Kniescheibengelenks, in der Fachsprache Femoropatellararthrose genannt. Das ist eine spezielle Form der Kniearthrose, von der anatomisch bedingt in drei Vierteln der Fälle Frauen betroffen sind (siehe unten).

Korrektur und Knorpelaufbau

Vorteil der neuen Methode: Der verschlissene Knorpel im Knie wird rekonstruiert, sodass das Gelenk erhalten bleibt. Bisher gab es bei fortgeschrittener Kniescheibengelenk-Arthrose oft nur noch den Einsatz eines künstlichen Gelenks. Das aber wollte Irene Kroh, damals erst gut Mitte fünfzig, wenn immer möglich vermeiden. Deshalb willigte sie auch, ohne lange zu zögern, ein, sich vom orthopädischen Chirurgen Peter Wirz operativ behandeln zu lassen.

Und so funktioniert der neue, gelenkerhaltende Eingriff: Zuerst wird die ungenügende Führung der Kniescheibe behoben. Danach bohrt der Chirurg kleine Löcher in die Knochenpartien, wo der Knorpel abgenutzt ist oder fehlt. Durch diese Mikrofrakturierung, wie das Verfahren heisst, gelangt stammzellenreiches Blut aus dem Knochen in die Defektregion. Das regt dort die Bildung eines sogenannten Faserknorpels an, eine Art Ersatzknorpel entsteht.

Dann näht oder klebt der Operateur eine Kollagenmembran auf den Mikrofrakturbereich der Kniescheibe – mit dem Ziel, dass die eingewanderten Zellen an Ort gehalten werden und die Knorpelbildung stimuliert wird. Schliesslich kommt ein Knochenhautlappen (Periost), der am Unterschenkel entnommen wird, auf den Defekt der Oberschenkelrolle. Der Knochenhaut wird ein grosses Regenerationspotenzial zugeschrieben.

Nach dem rund zweieinhalbstündigen Eingriff braucht das wiederhergestellte Kniegelenk drei bis vier Monate, bis es vollständig regeneriert und wieder funktionsfähig ist.

Besser als Gelenkersatz

Die innovative Behandlungsmethode geht auf Roland Jakob zurück. Der ehemalige stellvertretende Orthopädie-Chefarzt des Berner Inselspitals und spätere Chefarzt in Freiburg fing bereits ab 2003 an, vereinzelten Patienten mit diesem neuartigen Verfahren zu behandeln. Das kommt nicht von ungefähr: Jakob gilt in Sachen Knorpel als Koryphäe; so hat er vor 20 Jahren die International Cartilage Repair Society gegründet, die Internationale Gesellschaft für Knorpelreparatur. Und bis heute steht der inzwischen 75-Jährige seinen Schülern wie Peter Wirz mit Rat und Tat zur Seite. Seine Motivation: «Ich bin der Überzeugung, dass bei uns zu früh und zu viele Prothesen eingesetzt werden – denn nichts ist in der Funktion besser als das natürliche Gelenk.»

Für Kongresse angemeldet

Bisher hat Chirurg Peter Wirz, meist assistiert von Roland Jakob, zwanzig Patientinnen und Patienten erfolgreich operiert. Im Frühling wollen die beiden Orthopäden ihre neue Methode zur Behandlung der Kniescheibengelenk-Arthrose, die im Raum Bern-Freiburg entwickelt worden ist, ihren internationalen Fachkollegen an Kongressen in Barcelona und Macao (China) vorstellen.

Für Patientin Irene Kroh ist jedoch schon jetzt klar: «Die Operation hat sich gelohnt, ich bin super zufrieden.» Dennoch hoffe sie natürlich, fügt sie leise an, «dass ich beim anderen Knie vor diesem Schaden verschont bleibe».

[i] Knackpunkt Knie

Das Knie ist – nach der Hüfte – das am häufigsten von Abnutzung (Arthrose) betroffene Gelenk. Nach Schätzungen leiden in der Schweiz rund 600'000 Menschen daran. Eine besondere Form der Kniearthrose ist die Kniescheibengelenk-Arthrose (Femoropatellararthrose). Sie betrifft etwa zehn Prozent aller Kniearthrosen und tritt vor allem bei Frauen auf. Dies, weil sie einen lockereren Bandapparat haben als Männer und eher zu X-Beinen neigen, was das Herausspringen der Kniescheibe begünstigt. sae


Autor:in
Stefan Aerni, "Berner Oberländer"
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Erstellt: 15.01.2018
Geändert: 15.01.2018
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