Altersstruktur: Warum in Bolligen am meisten Senioren wohnen

Nirgendwo im Berner Mittelland sind die Leute älter als in Bolligen. In Quartieren, die einst von jungen Familien bevölkert waren, leben heute fast ausschliesslich ältere Ehepaare oder Alleinstehende. Trotzdem wollen nur wenige in eine der neuen Alterswohnungen ziehen.

Markus Zahno, Berner Zeitung BZ

Die zwei gelben Baukräne sind von weitem sichtbar. Sie stehen im Lutertalpark, mitten in Bolligen. In zwei eingerüsteten Neubauten entstehen hier insgesamt 41 altersgerechte Wohnungen. Auf der Baustelle herrscht Hochbetrieb: Die Handwerker isolieren Fassaden und verlegen Leitungen, es wird gebohrt und gebaggert. «Wir sind im Zeitplan», stellt Walter Wiedmer zufrieden fest, «im Juli 2015 können die Bewohnerinnen und Bewohner einziehen.»

Wiedmer ist FDP-Gemeinderat und Präsident der Genossenschaft, die den Lutertalpark baut. Initiiert wurde das Bauprojekt vor bald zehn Jahren von den Gemeindebehörden. Sie erkannten, dass es in Bolligen über kurz oder lang an Alterswohnungen mangelt. Tatsächlich ist die Bevölkerung nirgendwo im Kreis Bern-Mittelland älter als in Bolligen. Fast 27 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner sind 65-jährig oder älter, das sind 7 Prozentpunkte mehr als im bernischen Durchschnitt.

«Die Gründe dafür liegen auf der Hand», sagt Wiedmer. In den Siebziger- und Achtzigerjahren schossen die Häuser am Bolliger Südhang fast wie Pilze aus dem Boden. Die Einwohnerzahl stieg von 2000 auf 6500 und ging später wieder auf etwa 6000 zurück. Viele Zuzüger hatten eine Kaderposition beim Bund oder in der Privatwirtschaft. Ihre Steuerzahlungen bescherten der Gemeinde Bolligen auch finanziell gute Jahre.

Von 40 auf 0 Kinder

Doch mittlerweile sind viele, die damals ein Haus bauten, über 65-jährig. Weil Pensionierte in der Regel weniger Einkommen versteuern, schlage sich die Überalterung auch auf die Gemeindefinanzen nieder – dachte Walter Wiedmer. Er äusserte diese Vermutung letztes Jahr auch vor den Medien. Heute weiss er, dass er sich getäuscht hat: «Hier ist der Beweis», sagt der Bolliger Finanzminister und blättert in einem Papierstapel mit den neusten Steuerzahlen. Demnach tragen die über 65-Jährigen, die 27 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, nicht weniger als 35 Prozent aller Einkommenssteuern bei. Bei den Vermögenssteuern sind es sogar 65 Prozent. «Die Bolliger Rentner sind also gute Steuerzahler», bilanziert Wiedmer. Dass Bolligen heute mit rückläufigen Steuereinnahmen kämpfe, habe andere Gründe: etwa die kantonale Steuergesetzrevision oder der Umstand, dass allgemein viele Leute in den Unterhalt ihrer Häuser investieren und entsprechende Abzüge machen können.

Walter Wiedmer selber ist 66-jährig. Bis letztes Jahr leitete er ein Berner Ingenieurbüro, jetzt arbeitet er dort als Senior Consultant. 1981 kauften er und seine Frau ein Reiheneinfamilienhaus in der Überbauung Stockeren, oben am Südhang. Von hier aus bietet sich eine wunderbare Weitsicht, es ist ruhig und grün. Zu Spitzenzeiten lebten im Quartier um die 40 Kinder. Dann wurden sie grösser, zogen allmählich aus; so kam es, dass vor wenigen Jahren kein einziges Kind mehr im Quartier wohnte. Heute sind wieder ein paar wenige hier, im Grossteil der Häuser leben aber Alleinstehende oder ältere Ehepaare alleine.

Möglichst lange daheim

Walter Wiedmer möchte im Alter möglichst lange im eigenen Haus wohnen. Mit diesem Wunsch ist er nicht alleine: Weil die Senioren allgemein immer fitter sind, werden die bestehenden Häuser immer später frei für junge Familien. Seit der denkwürdigen Gemeindeversammlung 2008, die fast alle Neueinzonungen ablehnte, hat Bolligen zudem fast kein Bauland mehr – und wird deshalb immer älter.


Eine der wenigen Einzonungen, die das Volk 2008 guthiess, war das Bauland für die Alterswohnungen im Lutertal. Ein Jahr später wurde die Genossenschaft Lutertalpark gegründet. Heute zählt sie bereits um die 200 Mitglieder, zu einem Einzug in die Alterssiedlung haben sich bisher aber die wenigsten entschlossen.

Auf der Tafel beim Baustelleneingang sind alle 41 Wohnungen aufgeführt – erst bei 17 ist der «Vermietet»-Kleber angebracht. «Wir müssen also noch tüchtig die Werbetrommel rühren», sagt Walter Wiedmer. Er versteht die Haltung vieler Seniorinnen und Senioren: Sie leben heute fast gratis in ihrem abbezahlten Haus – warum sollen sie, solange sie ihren Alltag selbst meistern können, im Lutertalpark 1600 bis 1800 Franken Miete für eine 2½-Zimmer-Wohnung zahlen? Dennoch ist Wiedmer überzeugt: «Der Lutertalpark entspricht einem Bedürfnis.» Irgendwann seien die Wohnungen vermietet, dann werde anderswo Wohnraum für Jüngere frei.

In neun Monaten werden die zwei Baukräne im Lutertalpark verschwunden sein. Noch etwas länger dürfte es dauern, bis Bolligen die Statistik der ältesten Gemeinden nicht mehr anführt. «Aber», sagt Walter Wiedmer, «der Wandel wird kommen. Bestimmt.»


Autor:in
Markus Zahno, Berner Zeitung BZ
Fehler gefunden?
Statistik

Erstellt: 16.10.2014
Geändert: 16.10.2014
Klicks heute:
Klicks total: